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Im ZDF völlig entgleist: Markus Lanz will kein „Teil ukrainischer Propaganda“ sein

Im ZDF völlig entgleist Markus Lanz will kein Teil ukrainischer Propaganda sein
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Erstellt: 06.04.2022, 15:54 Uhr

Von: Marc Hairapetian

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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bei Markus Lanz. (5. April 2022)
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bei Markus Lanz. (5. April 2022). (Screenshot) © ZDF

„Ukrainische Propaganda“? Markus Lanz fällt bei seinem ZDF-Talk mit Entgleisung auf, während Karl Lauterbach mal wieder allen die Show stiehlt.

„Lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit non novit“ („Ein Wolf ist der Mensch dem Menschen, kein Mensch, solange er nicht weiß, welcher Art der andere ist“), sagt der Kaufmann zu Leonida in der Komödie „Asinaria“ („Eseleien“) des römischen Dichters Titus Maccius Plautus (ca. 254–184 v. Chr.). Schon beim britischen Mathematiker und Philosophen Thomas Hobbs (1588 - 1679) verlor der über 2000 Jahre alte Ausspruch alles Humorvolle. Er benutzte das Zitat für das potenziell destruktive Verhältnis der Staaten zueinander als logische Weiterentwicklung für den von ihm angenommenen Naturzustand der Menschen untereinander, die sich in einem „Bellum omnium contra omnes“ („Krieg aller gegen alle“) befinden würden.

Dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sein kann, thematisierte auch Ralph Nelsons Western „Soldier Blue“ („Das Wiegenlied vom Totschlag“), der, als er 1970 in die Kinos kam, als „härtester Film aller Zeiten“ galt. Bereits auf dem Plakat wurde angedeutet, was das Publikum zu sehen bekommen sollte: Auf ein nacktes und gefesseltes Indianer-Mädchen reitet eine ganze Kompanie von US-Soldaten mit gezückten Säbel zu. „Soldier Blue“ war vor allem in seinem Schlussviertel eine filmische Aufarbeitung des Sand-Creek-Massakers, das 1864 Kavalleristen der amerikanischen Nordstaaten an den Einwohnern einer ungeschützten Siedlung von Cheyenne- und Arapaho-Indianern im Colorado-Territorium verübten.

Markus Lanz im ZDF: Ukraine-Krieg als zentrales Thema

Auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges gedreht, gerade als die gerichtliche Aufarbeitung der Gräueltaten von My Lai in der amerikanischen Öffentlichkeit hohe Wellen schlug, geißelte Nelson eines der schändlichsten Verbrechen in der Geschichte der amerikanischen Landnahme im Westen des Kontinents mit bisher zuvor nie in den Lichtspielhäusern gezeigter Grausamkeit: Frauen wurden vergewaltigt und ihnen danach die Brüste abgeschnitten, Kinder mit dem Säbel geköpft und ihre Häupter dann auf Lanzen gespießt, während die US-Soldaten grölend dazu herumtanzten.

Robin Alexander Journalist bei Welt Kathrin Eigendorf Journalistin beim ZDF Karl Lauterbach Bundesgesundheitsminister, SPD Daniela Schwarzer Politologin

Und nun im Jahr 2022 kehren ähnliche Aufnahmen in unsere Wohnzimmer zurück: Spätestens bei den Massakern von Butscha wird wohl jedem bisherigen Zweifelnden klar, dass Wladimir Putins russische Truppen einen Vernichtungskrieg in der Ukraine führen, bei dem auch die Zivilbevölkerung nicht verschont wird.

Markus Lanz (ZDF): Reporterin aus der Ukraine zugeschaltet

Diese entsetzlichen Verbrechen an der Bevölkerung, bei denen laut Zeugenaussagen vermutlich tschetschenische und kasachische Sonderkommandos sowie die berüchtigte rechtsextreme (Söldner-)Gruppe Wagner ukrainische Frauen wieder und wieder vor den Augen ihrer Kinder vergewaltigten, während viele Männer mit Genickschüssen hingerichtet wurden, nehmen die erste Hälfte von Markus Lanz’ Talkshow am späten Dienstagabend ein.

Aus der Ukraine zugeschaltet ist ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf. Die ehemalige Moskau-Korrespondentin, die letzte Woche noch mit dem Zug von Deutschland in die Ukraine reisen konnte, wobei sie stundenlang in einem abgedunkelten Abteil verbringen musste, ist sichtlich angefasst. Viele Bilder könne man aufgrund ihrer Grausamkeit im Fernsehen gar nicht zeigen: „Wir haben Leichen gesehen, die verbrannt waren. Das sind auch Gerüche, die damit einhergehen.“

Markus Lanz (ZDF): Wann ist man „Teil der ukrainischen Propaganda?“

Die Schmerzgrenze für ansonsten recht abgebrühte Kriegsberichterstatter – mit 50 anderen internationalen Kollegen habe sie auf Einladung der ukrainischen Regierung die Stätte des Grauens besucht – sei längst überschritten: „Es ist ja ein regelrechtes Massaker, das hat schon noch mal eine andere Dimension.“

Auf diese erschütternden Aussagen reagiert Markus Lanz diesmal ganz und gar nicht sensibel, sondern will den vermeintlich professionell distanzierten Journalisten herauskehren. Dabei schießt er sich ein nicht für möglich gehaltenes Eigentor: „Ab welchem Punkt wird man Teil des Geschehens?“, will er zunächst durchaus berechtigt wissen. Doch dann kommt es: Wann sei man noch neutraler Reporter und wann „Teil der ukrainischen Propaganda“? Propaganda? Dass er in Zusammenhang mit diesen unwiderlegbaren Kriegsverbrechen wie die russische Seite, die den Ukrainern unterstellt, die Leichenberge „inszeniert“ zu haben, von „ukrainischer Propaganda“ spricht, ist wirklich eine Entgleisung, die so manchen anderen (westlichen) Journalisten den beruflichen Kopf kosten könnte.

Politologin bei Markus Lanz (ZDF): „Wir müssen meiner Ansicht nach hinsehen“

Dies muss er sich just in dem Moment, wo er das gesagt hat, auch gedacht haben, denn wenig später, versucht er zurückzurudern: „Ich räume gern ein, dass der Begriff ‚Propaganda‘ in dem Punkt unglücklich ist.“ Dennoch bleibt er bei seiner Position. Hätte die Ukraine nicht zwei, drei „neutrale“ Journalisten einer Nachrichtenagentur einladen können, die dann „nicht so explizite“ Bilder veröffentlicht hätten?“ Schonungslose Aufklärung von Kriegsverbrechen sieht anders aus…

Allerdings hat er mit seiner Frage „Ab welchem Punkt zeigen Bilder wirklich die Wahrheit?“ dann wieder nicht unrecht. Auch wenn er die Massaker nicht in Zweifel ziehen wolle, fehle ihm möglicherweise „der Kontext drumherum“. Mit diesem Einwand steht er nicht nur in der abendlichen Runde ganz allein. Zu allen Zeiten hat es in Kriegen abscheuliche Verbrechen gegeben - ohne den von ihm schwammig benannten „Kontext drumherum“. Das findet auch Politologin Daniela Schwarzer: „Wir müssen meiner Ansicht nach hinsehen. Das ist das grauenhafte Gesicht dieses Krieges!“

Lauterbach zu Genozid bei Lanz im ZDF: „Da wäre ich sehr vorsichtig“

Auch Lanz’ Dauergast Robin Alexander, seines Zeichens stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung „Die Welt“, der sich immer wieder unaufgefordert, aber vermutlich nicht ungewollt, zum Co-Moderator aufschwingt und eigene Fragen stellt, widerspricht hier dem smarten Südtiroler: „Da kommen nicht Leute hin, die Fotos machen. Das sind Leute, die ihr Handwerk verstehen!“ Die Watschen für Markus Lanz hat gesessen!

Aufgrund der einerseits eindeutigen, andererseits doch diffizilen Thematik hält sich der prominenteste Gast der Talkshow zuerst für ihn untypisch bedeckt. Die Ereignisse von Butscha als “Genozid“ zu bezeichnen, wie es der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj getan hat, hält Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) noch für verfrüht. Genauso einen Eingriff der NATO: „Da wäre ich sehr vorsichtig. Damit spielt man nicht!“ Doch Karl Lauterbach wäre nicht Karl Lauterbach, wenn er angesichts übereilten Handelns der westlichen Staaten bezüglich des russischen Angriffs der Ukraine nicht vor einem drohenden „Dritten Weltkrieg“ warnen würde. Um Völkermord zu unterbinden, gebe es auch andere Mittel. Deshalb spricht er sich für weitere Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine aus.

Markus Lanz (ZDF) – Karl Lauterbach will freiwillige Isolation „morgen wieder einkassieren“

Der Kritik der „vereinigten Journalisten-Allianz“ Robin Alexander und Markus Lanz, dass Deutschland nach der „Zeitenwende“-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angeblich wochenlang keine Waffen in die Ukraine geschickt hat, widerspricht er aufgebracht: „Das grenzt an Ehrabschneidung! Wir liefern mehr als öffentlich bekannt ist und zum Teil anders, als öffentlich bekannt ist.“ Man müsse Wladimir Putin schließlich nicht alles auf die Nase binden… Diese Aussage ist doch etwas naiv, denn die russischen Geheimdienste haben garantiert nicht ihre Tätigkeit eingestellt.

Doch der stets polarisierende und zuweilen unorthodox agierende Karl Lauterbach, der deswegen immer Einschaltquote verspricht, lässt dann beim zweiten Gesprächskomplex des Abends unerwartet eine andere Bombe platzen, wobei er sogar selbstkritisch von der „Abkehr eines Fehlers“ spricht: Die Isolationspflicht nach einer Corona-Infektion bleibt nach seinem Willen nun doch! Eigentlich sollte die häusliche Isolation ab 1. Mai freiwillig werden. „Das werde ich morgen wieder einkassieren“, kündigte der gewiefte SPD-Politiker und gelegentliche Selbstdarsteller, der am liebsten in der „Ich“-Form Statements von sich gibt, bei „Markus Lanz“ an.

Karl Lauterbach (SPD) gesteht bei Markus Lanz (ZDF) Fehler ein

Zwar könnten die völlig überlasteten Gesundheitsämter gar nicht mehr kontrollieren, ob Isolation und Quarantäne eingehalten würden und wären durch die geplante Lockerung deshalb entlastet worden, aber: „Das Signal, was dann rüberkommt ist: Lauterbach sagt, Quarantäne und Isolation sind nicht mehr nötig, Corona ist harmlos. Das schadet mehr als die Überlastung der Gesundheitsämter.“

Deshalb müsse nun ein Kompromiss her: Die Isolation wird laut ihm weiterhin vom Gesundheitsamt angeordnet, aber von sieben auf fünf Tage verkürzt. Ob Kontaktpersonen in Quarantäne gehen, solle wie geplant empfohlen, letztlich aber von den betroffenen Personen eigenverantwortlich entschieden werden. „War die Abkehr von der Isolationspflicht also ein Fehler?“, bohrt der überraschte Markus Lanz nach, nachdem er sich wieder etwas gefangen hat. „Genau“, bestätigt „Karl der Große“, „Man muss als Minister auch in der Lage sein, Dinge, die nicht gut gelaufen sind, zu korrigieren.“ Diese Haltung nötigt auch Robin Alexander „Respekt“ ab.

Markus Lanz (ZDF) – Karl Lauterbach: „Hier habe ich einen Fehler gemacht“

„Ich versuche ständig, die Pandemie-Bekämpfung zu optimieren“, erklärt Lauterbach, der weiß, das er nun der „Held des Abends ist. „Ich versuche immer, das Maximum für die Bevölkerung herauszubekommen, so wenig Leute wie möglich dieser Krankheit auszuliefern“ meint er nicht unbescheiden. Dies ist natürlich eine Anspielung auf seine Verhandlungen mit dem Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Ohne Kompromisse hätten die Liberalen den von nicht wenigen Menschen hierzulande ersehnten „Freedom Day“ bekommen. „Dann hätten wir gar nichts gehabt“, benutzt Karl Lauterbach den Plurales Majestatis.

Nach der Sendung fasst der Gesundheits- und neuerdings auch Marketingexperte seinen Beschluss nochmals bei Twitter zusammen: „Die Beendigung der Anordnung der Isolation nach Corona-Infektion durch die Gesundheitsämter zugunsten von Freiwilligkeit wäre falsch und wird nicht kommen. Hier habe ich einen Fehler gemacht. Das entlastet zwar die Gesundheitsämter. Aber das Signal ist falsch und schädlich.“

Lauterbach zur Impfpflicht ab 60 bei Markus Lanz (ZDF): „Das wird jeder kapieren“

Auch bei der Durchsetzung der Impfpflicht gibt sich Karl Lauterbach noch bei Markus Lanz siegessicher: „Ich glaube, dass wir die Impfpflicht durchbringen werden“, sagte er mit Blick auf die Abstimmung im Bundestag am Donnerstag. Mit der Impfpflicht für Menschen ab 60 Jahre könnten nämlich 90 Prozent der durch eine Impfung vermeidbaren Todesfälle verhindert werden: „Das wird jeder kapieren!“ Es bringe nichts, der allgemeinen Impfpflicht ab 18 Jahren hinterherzutrauern: „Ich mache lieber Impfpflicht ab 60 und rette damit Leute.“

Markus Lanz im ZDF

Markus Lanz vom 5. April 2022 im ZDF – Link zur Sendung in der Mediathek

Robin Alexander, der nun vollends den Part des etwas überforderten Markus Lanz an sich gerissen hat, kann sich ein kleines Sticheln nicht verkneifen: Tritt „Lebensretter Lauterbach“ eigentlich zurück, wenn er mit seinem Vorhaben am Donnerstag doch scheitern sollte? „Nein, ich hätte keinen Grund“, gibt sich der 59-jährige Gesundheitsökonom, Mediziner und Politiker in Personalunion cool. Das Aus für die Impfpflicht wäre zwar eine gewaltige Niederlage. Aber er müsste sich in dem Fall keine „grotesken Fehler“ vorwerfen, die „Menschenleben gekostet hätten“ und somit einen Rücktritt notwendig machen würden. Bei diesem Talk hat Karl Lauterbach mal wieder allen die Show gestohlen…! (Marc Hairapetian)

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