Neue Staffel „The White Lotus“ in Thailand: Friss oder werde ...

Der Buddhismus kann eine brutale Religion sein. Denn wenn am Ende kein Heiland wartet, der die irdischen Sünden auf sich nehmen will, muss man sich selbst um das eigene Seelenheil bemühen. Immer und immer wird man wiedergeboren, bis es klappt. Ohne Tugend kein Nirwana, das wiederkehrende Leben ein immerwährendes Leiden.
Dass sich das namensgebende Luxusresort in der dritten Staffel „The White Lotus“ nun in Thailand befindet und in unmittelbarer Nähe eines Mönchsklosters steht, wirkt also eher als Menetekel denn als gutes „Om“.
Wieder hat sich eine Handvoll reicher, amerikanischer Gäste eingefunden, und wieder wird jemand sterben. Gleich in der ersten Folge betet ein Todgeweihter vor einem Buddha: „Bitte Jesus, vergib’ mir meine Sünden.“
„The White Lotus“ Staffel 3, ab 17.02.2025 auf WOW
Reiche Amerikaner im thailändischen Insel-Idyll
Da ist die Südstaaten-Familie, deren Tochter (Sarah Catherine Hook) sich von den konservativen Eltern lossagen will, während ihre Brüder (Sam Nivola und Patrick Schwarzenegger) mit sich und ihren Trieben ringen. Der Vater (Jason Isaacs), der von seinen unlauteren Machenschaften verfolgt wird, und die Mutter (Parker Posey), die zu zugedröhnt ist, um irgendetwas wahrzunehmen.
Da ist das Pärchen (Walter Goggins und Aimee Lou Wood) mit großem Altersunterschied, ihn treiben Rachegefühle um, sie das Helfersyndrom. Und drei alte Freundinnen (Carrie Coons, Leslie Bibb, Michelle Monaghan), die zueinander finden wollen und dabei miteinander konkurrieren.
Meditation, ein Spa und „Digital Detox“
Wie bei den Vorgänger-Staffeln auf Hawaii und Sizilien werden den Gästen auch in Thailand wieder aufwändige Dinnershows und stets gefüllte Weißweingläser angeboten. Diesmal aber soll es nicht nur um Vergnügen gehen. Im Gegenteil: Yoga oder Meditation, ein Spa und „Digital Detox“ sollen ihnen helfen, sich von ihren irdischen Verlangen zu lösen.
Eine Mitarbeiterin rät dem gequälten Rachsüchtigen, er solle seine Geschichte loslassen, um dem karmischen Zyklus zu entfliehen. „Finde Frieden, in diesem Leben“, mahnt sie mit zarter Stimme. Sonst musst du es im nächsten nochmal versuchen, scheint sie zu drohen.
Es ist eine von mehreren buddhistischen Weisheiten, die an die Gäste herangetragen wird. „Identity is a box“ ist eine andere, Identität sei ein Käfig, dem es zu entkommen gelte. Ein Satz, der nur zu eindeutig in einer Szene als Allegorie auserzählt wird, wenn Schlangen ihren Glaskäfigen entrissen werden. Man ist sich nicht sicher, wie ernst oder ironisch diese verkürzten Mantras gemeint sind.
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„Eat The Rich”-Satiren seit der Pandemie
Denn „The White Lotus“ bedient selbst die vorbestimmte Erzählung über eine gequälte Identität, die zuletzt sehr beliebt in Film und Serien war: die der Reichen und ihrer moralischen Verwerflichkeit. „Eat The Rich”-Satiren sind seit einigen Jahren extrem erfolgreich.
Auf den erfolgreichen Mystery-Film „Knives Out“ folgte sogleich „Glass Onion“, der Cannes-Gewinner „Triangle of Sadness“, die vielfach ausgezeichnete Serie „Succession“, die weniger gelobte Serie „Nine Perfect Strangers“, und Filme wie „The Menue“, „Saltburn“, „Blink Twice“.
Im März wird das A24-Musical „Opus“ erscheinen, das sich dabei wieder der gleichen Formel annimmt: Man kommt zum großen Fressen zusammen, nur wer frisst wen?
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„The White Lotus“ verzichtet auf kathartische Rache an den Reichen
„The White Lotus“ führte das Genre als Pandemie-Serie an, für die nur ein einziger Drehort gebraucht wurde. Die ersten Staffeln waren dabei durchdachte Satiren, in der niemand per se als moralisch überlegen dargestellt wurde: Ob Gen-Z-Studentinnen, Hotelmanager, Tech-Bros oder Sexarbeiterinnen – alle eiferten mit mehr oder weniger lauteren Mitteln um ihren Platz am Tisch.
Wer am Ende den Kürzeren zog, entsprach meist denen, die in der realen Welt auch leer ausgehen. Eine kathartische Rache an den Reichen, wie in „Triangle of Sadness“ oder „Knives Out“, wurde den Zuschauern zumindest nicht geboten.
Kapitalismuskritik als Ohnmachtsfantasie
Die Beliebtheit dieser Erzählungen verweist darauf, dass sich etwas verschoben hat: Die Pandemie machte einer breiten Masse bewusst, wie ungleich hart Menschen sie erleben mussten.
Die Kapitalismuskritik in diesen Serien und Filmen zeugt von einer Selbstvergewisserung darüber, auch wenn ihre subversive Kraft als Unterhaltungskunst sicherlich fraglich. Letztendlich fungierten „Eat The Rich“-Erzählungen dennoch nur als konsequenzenlose Ohnmachtsfantasie.
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Schuftende Angestellte, weltfremde Gäste
Dass nun in der neuen „White Lotus“-Staffel die spannungsgeladene Dynamik zwischen schuftenden Angestellten und weltfremden Gästen gänzlich fehlt, zeigt, dass sich das Genre vielleicht erschöpft hat.
Im neuen White-Lotus-Resort bandeln zwei thailändische Hotelangestellte an (Tayme Thapthimthong und K-Pop-Star Lalisa Manobal), eine amerikanische Spa-Mitarbeiterin aus Maui (Nathasha Rothwell) lässt es sich erstmal gut gehen, und der Geschäftsführer (Christian Friedel) gurkt mit seinem Golfkart herum.
Ja, auch sie verfolgen selbstsüchtige Motive, aber sie bleiben dabei bei sich. Der erbitterte Kampf mit den Oberen bleibt aus. Die wiederum sollen sich vor höheren Mächten verantworten.

Der Tod als „glückliche Heimkehr“?
Mit diesem religiösen Unterbau scheint Serienmacher Mike White jedoch überfordert. Während in den ersten Staffeln Reichtum komplexer in die Abhängigkeiten von Hautfarbe, Herkunft und Geschlecht eingebettet wurde, werden hier pseudo-ontologische Fragen angesichts des Todes aufgemacht.
„Jeder flieht vor dem Schmerz in den Genuss, aber dort wartet nur noch mehr Schmerz“, sagt der Erleuchtete im Kloster, während sich die Gäste eben noch auf der Full-Moon-Party betäubt haben. Man müsse loslassen und erkennen, dass „der Tod eine glückliche Heimkehr“ sei, hält er fest.
Dass der verzweifelte Vater angesichts eines Lebens im Gefängnis und ohne Geld über einen erweiterten Suizid kontempliert, ist eine etwas zu kurz geratene Pointe.
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Irdische Verhältnisse bleiben vage
Das Potenzial, das Thailand als Ort eigentlich geboten hätte, um von irdischen Verhältnissen zu erzählen, schöpft die Serie dabei nicht aus.
Es wird zwar kurz auf einer Yacht über die Abhängigkeiten zwischen weißen, alten Männern und jungen, thailändischen Frauen nachgedacht („abstoßend!“); und in einer schicken Bar erläutert, dass Buddhismus für „Westler“ gern mal als Ersatzdroge fungieren darf („ein Kamillentee, bitte!“) – zu vielschichtigen Überlegungen wer wem hier was verkauft und warum, kommt es aber nicht.
Er habe keine Klischees über Thailand erzählen wollen, sagte Serienmacher White im „The New Yorker“. Man hat eher den Eindruck, er habe sich angesichts der großzügigen finanziellen Anreize, die Thailand ihm für den Dreh zur Verfügung gestellt hat, etwas gezügelt.
Nachdem die Hotels auf Hawaii und Sizilien über Saisons ausgebucht waren, hatte sich das Land (neben Japan) stark darum bemüht, als neuer Drehort gewählt zu werden.

Bizarre Realitäten
„The White Lotus“ verliert im Jahr 2025 aber auch ihr satirisches Momentum. Dass White selbst zwei Häuser auf der hawaiianischen Insel Kauai besitzt, dort, wo auch Meta-Chef Mark Zuckerberg ein riesiges großes Grundstück mit Bunker hat, wirkt angesichts der Brände, die zuletzt auf Maui wüteten, zynisch.
Es sind bizarren Realitäten, die solche „Eat The Rich”-Erzählungen weniger genießbar machen.
Etwas unbeholfen wird aus der fiktiven „White Lotus“-Blase auf sie verwiesen: wenn der russische Hotelangestellte gefragt wird, ob er schon vor dem Ukrainekrieg nach Thailand gekommen ist; wenn eine der drei Freundinnen gefragt wird, ob sie wirklich Donald Trump gewählt hat; oder wenn der jüngste Familien-Spross sich ein Video von der Tsunami-Welle ansieht, die vor zwanzig Jahren über Thailand einbrach.
Sein Vater singt derweil leise „Es ist ein Ros’ entsprungen“, während er darüber nachdenkt, ob das Leben als armer Sünder noch lebenswert wäre. Vielleicht ist Jesus gnädig. Vielleicht muss er es nochmal versuchen.