Wanda in der Stadthalle: Kunst als Kundenerlebnis
„Weihnachten mit Wanda“ lockte 15.000 Fans in die Wiener Stadthalle. Es war ein routinierter Auftritt mit Gästen wie Sportfreunde Stiller und Der Nino aus Wien.
Die Macht der Alliteration wird zuweilen unterschätzt. Tatsächlich verdanken wir ihr die Singsportveranstaltung „Weihnachten mit Wanda“, die ja unter anderen Vorzeichen auch Ostern mit Olga oder Allerheiligen mit Albina heißen hätte können. So aber toben Michael Marco Fitzthum und seine Freunde von der nach der berüchtigten Wanda Kuchwalek benannten Band alljährlich zur angeblich stillsten Zeit des Jahres über die Bühne der Wiener Stadthalle.
Kuchwalek, deren Gebeine am Stammersdorfer Friedhof ruhen, camouflierte ihre Tätigkeit als weibliche Zuhälterin hinter einer Alliteration. Sie war die Wilde Wanda. Und wild war die Kombo Wanda auch dieses Jahr von Anbeginn. Noch vor wenigen Tagen gab der gerne rüde auftretende Salò auf diesen Seiten zu, dass für ihn noch nicht die Zeit gekommen ist, ein Konzert mit dem größten Hit zu beginnen. Für Wanda ist dieser Moment schon länger da. Und so brachten sie ihr „Bologna“ gleich als Opener. Nach einleitenden Klagelauten von Edith Piaf ertönte das markante Riff und die 15.000 im Saal ergaben sich stimmstark.
Ein Loblied auf das Hochprozentige
Das Gros war textsicher, die anderen grölten herzhaft mit. Fitzthum ging in den Schneidersitz und dirigierte die „Amore“-Chöre. Das zeigte nicht nur die reale Macht des Sängers, sondern deutete auch die Allmachtsfantasie eines Publikums an, für das Kunst in erster Linie Kundenerlebnis sein muss. Gerade das Überraschungsarme des Abends wurde gefeiert.
Ein schöner, weil verhaltener Moment kam mit „Wir sind verloren“, das mit Paradoxien wie „Halt den Gedanken fest, auch wenn er falsch ist, du hast recht“ labte. Eine Zeile, die freilich nur für die Liebe anwendbar ist und die nicht ganz zufällig an die große Ballade „Halt dich an deiner Liebe fest“, die Rio Reiser einst mit Ton Steine Scherben gesungen hat, erinnert. In „Kairo Downtown“ dominierte ein federnder Basslauf, der sich eins zu eins ins Gebein der verwegen wippenden Fans fortsetzte. So ein Wanda-Konzert ist für die meisten ein Exzess mit Anlauf. Schon auf der Udo-Jürgens-Promenade, wie der Weg durch den vor der Stadthalle befindlichen Park neuerdings heißt, lutschten viele an Schnapsfläschchen. Den Hochprozentigen lobte dann auch die Band auf die verlässlichste Weise. „Alles was ich will ist Schnaps, der weiß, wo die Sonne lebt, der weiß, so die Sonne steht“, greinte Fitzthum ins klangliche Furioso seiner Kombo.
Sein Gesang wärmte den Solar Plexus ähnlich gut wie das besungene Getränk. Trunken war der Sänger aber an diesem Abend in erster Linie von den lautstarken Liebkosungen des Publikums. Seine abgetragene Lederjacke hängt in irgendeinem Austropopmuseum. Er braucht sie längst nicht mehr. Er trat in Shirt und Jeans auf. Es hätte auch ein Pyjama sein können, so wohl fühlt er sich vor seinen Fans. Nur ab und an musste er sich einen Tschick anzünden, um die lodernden Flammen in sich selbst zu zügeln. Ein absolutes Highlight war das zart inzestiöse „Meine beiden Schwestern“, das ganz harmlos A cappella begonnen wurde. Dem Wesen nach Gespenster, traurige Gespenster, seien sie, die Protagonisten des Songs. Zwei Songs später griff die Band zu „Stehengelassene Weinflaschen“, einem ihrer absoluten Highlights. Auch „Luzia“ griff total, weil es so vital heruntergeschrammelt wurde. Wanda zeigten große Seelenruhe darin, die Masse im Würgegriff der Ekstase zu fixieren.
Ein Oasis-Cover und „Stille Nacht“
Im episch zelebrierten Gästesegment philosphierte dann Der Nino aus Wien übers Falschsingen. Gemeinsam mit Fitzthum schrie man sich Ninos Ode an „Johnny Ramone“ von der Seele, diesen früh verblichenen, amerikanischen Punkgitarrendompteur. Danach kuschelten sich die Sportfreunde Stiller zu Wanda. Sie seien unter den wenigen Kollegen, mit denen sie sich in den 12 Jahren ihrer Karriere angefreundet hätten, enthüllte Fitzthum. Gemeinsam warfen sie sich in die Pose von Britpoppern und coverten den Oasis-Gassenhauer „Don’t Look Back in Anger“. „Don’t Look Back at Egger“ hieß die hiesige Lesart.
Schärfer klang nur das von Wanda alleine gestemmte Nirvana-Cover „Territorial Pissings“, mit dem sie bewiesen, dass sie es wohl auch als Briten in die obere Liga geschafft hätten. Vor allem mit ihrem Frühwerk. Der Charme der frühen Wanda-Songs ist immer noch frappierend. Mit der Qualität ihres Outputs ging es danach etwas zurück. Allerdings ähnlich langsam wie der Haarausfall Fitzthums. Der Mann findet immer noch ein paar Haare, die er sich Richtung Stirn frisieren kann. Seine Songs bürstet er ebenso gnadenlos nach vorn. Und ja, diesmal sang er sogar „Stille Nacht“. Erwartbar unchristlich. Markentreue nennt man das.