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Bisher genaueste Vermessung des Universums weicht von Vorhersagen ab

Bisher genaueste Vermessung des Universums weicht von Vorhersagen ab
Eine Untersuchung der "Desi"-Kollaboration nutzt 450.000 Quasare für ein 3D-Modell des frühen Universums. Es gibt eine noch unbestätigte Abweichung
Ein Schnitt durch die neue Karte des Universums zeigt die Strukturen, in denen sich auch Spuren von sogenanntenBaryonic Acoustic Oscillations(Baos) finden.
Claire Lamman/DESI collaboration; custom colormap package by cmastro

Das Kürzel "Baos" steht für einen ebenso wichtigen wie sonderbaren Effekt des frühen Universums. Lange vor den Galaxien und Sternen, die heute das All bestimmen, war der Raum von Materie erfüllt, die so heiß war, dass Licht sie nicht durchdringen konnte.

In dieser Phase spielte ausgerechnet ein physikalisches Phänomen eine wichtige Rolle, das wir sonst nicht mit Astronomie verbinden: Schall. Als sich in der relativ gleichmäßig verteilten Materie leichte Zusammenballungen bildeten, stieg dort die Temperatur und erzeugte Druckwellen. Der Effekt wird Baryonic Acoustic Oscillations, oder eben Baos, genannt. Kurioserweise wird hier die uns bekannte, "normale" Materie mit dem Fachausdruck "baryonic" versehen, um sie von exotischeren Formen abzugrenzen.

Im Gegensatz zu vielen anderen der damaligen Ereignisse – weil Licht sich nicht ausbreiten konnte, können Teleskope nichts darüber erfahren – sind Baos heute noch sichtbar. Als sich die Wellen kugelförmig ausbreiteten, zogen sie vermehrt Materie an sich. Inzwischen sind diese Wellen riesig und enthalten unzählige Galaxien.

Eine Karte des Universums

Wer also etwas über Baos erfahren will, muss genaue 3D-Karten des Universums anfertigen und hoffen, dort kugelförmige Strukturen zu finden. Genau das war das Ziel von "Desi", einem Projekt von 900 Forschenden aus 70 Instituten in aller Welt. Das dafür verwendete, namensgebende Dark Energy Spectroscopic Instrument ist auf einem Teleskop mit Viermeterspiegel auf dem Kitt Peak im US-Bundesstaat Arizona montiert. Nun präsentierte die Kollaboration ihre ersten Ergebnisse in einer Reihe von Arbeiten, die zur Publikation eingereicht wurden.

Dieser Comic illustriert die Methoden des Desi-Projekts.
Claire Lamman/DESI collaboration

So interessant die Baos an sich sind, geht es dabei doch um sehr viel mehr. Das Verständnis der physikalischen Effekte bei der Entstehung von Baos erlaubt es, ihre wahre Größe zu berechnen. Vergleicht man diese mit der sichtbaren Größe zu verschiedenen Zeitpunkten, lässt sich daraus auf die Expansion des Universums rückschließen.

Diese genau zu messen ist nötig, um das größte Rätsel der Astronomie besser zu verstehen. Die Expansion des Universums beschleunigt sich bekanntlich, obwohl die darin enthaltenen Massen einander anziehen und sie sich so eigentlich verlangsamen sollte. Verantwortlich dafür ist eine hypothetische physikalische Substanz namens Dunkle Energie. Worum es sich handelt, ist bislang völlig offen.

Quasare helfen bei großen Entfernungen

Das Forschungsteam lokalisierte also Galaxien in unterschiedlichen Entfernungen, wobei entferntere Objekte einen früheren Zeitpunkt zeigen, um daraus auf die Baos zu schließen. Doch das geht nur bis zu einer gewissen Entfernung. Das Licht ferner Galaxien ist zu schwach.

Um weiter in die Vergangenheit zu blicken, muss man sich leuchtstärkeren Objekten zuwenden. Solche gibt es zum Glück in Form von Quasaren. Dabei handelt es sich eigentlich um supermassive Schwarze Löcher, in deren unmittelbarer Umgebung sich aufgrund der enormen Gravitationskräfte extreme Effekte abspielen. Ihr Licht ist für irdische Teleskope auch über große Entfernungen noch gut zu erkennen.

Die Quasare selbst sind zu spärlich verteilt, um genaue Informationen zu liefern. Doch sie werfen buchstäblich Licht auf kosmische Strukturen, die sonst nicht sichtbar wären.

"Wir benutzen Quasare als Hintergrundbeleuchtung, um den Schatten des Gases zwischen den Quasaren und uns zu sehen", sagt Andreu Font-Ribera vom Institut für Hochenergiephysik in Spanien. "Damit können wir weiter in die Zeit zurückblicken, als das Universum noch sehr jung war. Es ist eine wirklich schwierige Messung, und es ist sehr cool zu sehen, dass sie gelungen ist."

Eine künstlerische Darstellung des Teleskops auf dem Kitt Peak in Arizona, das bei dem Projekt zum Einsatz kam.
NOIRLab/NSF/AURA/P. Marenfeld and DESI collaboration

Hunderttausende Quasare

Insgesamt 450.000 Quasare untersuchte das Team auf diese Weise. So ließen sich auch noch Strukturen abbilden, die elf Milliarden Jahre alt waren. Das Ergebnis der Untersuchung wurde allerdings lange Zeit auch vor den Mitforschenden unter Verschluss gehalten.

Das ist bei Großstudien durchaus üblich, wurde bei Spektroskopiedaten aber bisher noch nie gemacht. Dazu ist es nötig, die Daten vor der Bearbeitung durch die Forschenden zu verschlüsseln. Erst ganz am Ende wird die Verschlüsselung aufgehoben. So ist sichergestellt, dass kein Wunschdenken das Ergebnis beeinflusst.

"Wir haben die Expansionsgeschichte über diesen riesigen kosmischen Zeitraum mit einer Präzision gemessen, die alle bisherigen Bao-Durchmusterungen zusammen übertrifft", sagt Hee-Jong Seo von der Ohio University.

Leichte Abweichung

Besonders interessant war die Frage, ob sich Unterschiede zu den Vorhersagen des aktuellen Standardmodells des Universums feststellen ließen. Letzteres ist als Lambda-Cold-Dark-Matter-Modell bekannt. Es verbindet gängige Vorstellungen von Dunkler Energie, für die das Lambda steht, und einer bestimmten Idee von Dunkler Materie.

"Bisher sehen wir eine grundlegende Übereinstimmung mit unserem besten Modell des Universums, aber wir sehen auch einige potenziell interessante Unterschiede, die darauf hindeuten könnten, dass sich die Dunkle Energie mit der Zeit entwickelt", sagt Michael Levi vom US-amerikanischen Lawrence Berkeley National Laboratory.

Die Daten von Desi selbst sind so weit in Übereinstimmung mit dem Standardmodell. Werden sie allerdings mit Daten anderer Studien kombiniert, zeigen sich leichte Unterschiede. Man werde sehen, ob sich diese Unterschiede in Zukunft verstärken oder ob sie wieder verschwinden.

Die aktuellen Ergebnisse sind also erst der Anfang. In Zukunft sollen es drei Millionen Quasare und 37 Millionen Galaxien sein, die helfen sollen, die Expansion des Universums genauer einzugrenzen. Dann wird auch klar werden, ob es tatsächlich eine Lücke in den aktuellen Modellen des Universums gibt. Erste Anzeichen dafür scheint es zu geben.

"Wir sind sehr gespannt darauf, wie diese neuen Messungen unser Verständnis des Kosmos verbessern und verändern werden. Das Universum übt eine zeitlose Faszination auf die Menschen aus, und sie wollen sowohl wissen, woraus es besteht, als auch, was mit ihm geschehen wird", sagt Seo. (Reinhard Kleindl, 5.4.2024)

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