SNB als Bankaufseherin? Die Idee von Colm Kelleher irritiert
Ein Jahr nach dem CS-Kollaps drängen sich Anpassungen bei der Bankenaufsicht auf. Colm Kelleher plädiert für eine Aufsicht nach US-Vorbild. Doch dieses Modell wirkt abschreckend.
Der oberste Verantwortliche der UBS blickt mit Sehnsucht in die USA. Diesen Eindruck vermittelt der Verwaltungsratspräsident Colm Kelleher in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag». Angesprochen auf die Überwachung des Schweizer Bankensektors, äussert er seine Vorliebe für das amerikanische Modell, wo die Aufsicht der Notenbank unterstellt ist. Die Begründung: Die Finanzstabilität sei Aufgabe der Zentralbank, und zu einem stabilen Finanzsystem gehöre auch die Bankenregulierung.
Die Finma als oberste Aufseherin
In der Schweiz sind die Zuständigkeiten anders geregelt. Hier ist nicht die Schweizerische Nationalbank (SNB) zuständig für die Aufsicht über die einzelnen Banken, sondern die Finanzmarktaufsicht (Finma). Geht es also um den Schutz der Gläubiger und Investoren einer Bank, steht die Finma in der Verantwortung. Dasselbe gilt für die Frage, wie solid die Institute aufgestellt sind, wie risikoreich sie geschäften und ob sich bei einer kriselnden Bank eine Sanierung aufdrängt.
Zwar ist auch die SNB dazu verpflichtet, einen Beitrag zur Stabilität des Finanzsystems zu leisten. Doch das tut sie nicht auf der Ebene einzelner Banken, sondern mit Blick auf das Gesamtsystem. Die SNB prüft etwa mit Stresstests, wie gut der Sektor auf Zinserhöhungen vorbereitet ist und welche Bank systemrelevante Bedeutung hat. In Krisen gewährt sie illiquid gewordenen Banken unter gewissen Voraussetzungen zudem ausserordentliche Liquiditätshilfen.
Geht es nun nach Kelleher, sollte die SNB ihren Aufgabenbereich ausweiten und bei der Bankenaufsicht die Führung übernehmen. Eine solche Neuverteilung der Kompetenzen zwischen Finma, SNB und Bund wurde auch in den ersten Monaten nach dem Untergang der Credit Suisse ins Spiel gebracht. Dies vor dem Hintergrund des Eindrucks, dass die Arbeitsteilung zwischen den Behörden nicht immer klar ersichtlich war und die Beteiligten sich die Verantwortung gegenseitig zuschoben.
Chaos unter der Motorhaube
Spricht man jedoch mit Ökonomen, werden Zweifel laut, ob die USA als Vorbild taugen. Zwar ist die Aufsicht formell der Notenbank zugeordnet. Damit hört die Übersichtlichkeit aber auf. Denn das US-System zeichnet sich durch eine extreme Fragmentierung und eine Vielzahl von involvierten Behörden aus. «Wer bei diesem System unter die Motorhaube schaut, sieht viel Chaos», sagt ein früherer Mitarbeiter der Finma.
Selbst Experten verlieren rasch den Überblick. Denn je nachdem, welche Tätigkeiten eine Bank ausübt und ob sie global, landesweit oder nur in einzelnen Gliedstaaten tätig ist, kommen verschiedene Aufseher zum Einsatz, mit überlappenden Verantwortlichkeiten. Neben dem Fed sind auch das seit 1863 bestehende Büro des Rechnungsprüfers der Währung (OCC) oder der Einlagensicherungsfonds (FDIC) involviert. Für Anbieter von Hypotheken gibt es wiederum separate Aufseher, und die Regeln für Versicherer unterscheiden sich von Gliedstaat zu Gliedstaat.
Das historisch gewachsene Wirrwarr lässt sich kaum noch entflechten. Man mag zur Verteidigung des US-Systems einwenden, dass die diversen Behörden verschiedene Perspektiven einbringen und zu einem besseren Gesamteindruck beitragen. Der Preis hierfür sind aber eine komplexe Koordination, zum Teil widersprüchliche Bestimmungen und eine Unübersichtlichkeit, von der nur Anwälte und Compliance-Spezialisten profitieren. Da erscheint das Schweizer System weit aufgeräumter.
Skepsis bei Experten
Die vom Bund eingesetzte Expertenkommission «Bankenstabilität» unter Leitung des Basler Ökonomen Yvan Lengwiler hatte das Modell im vergangenen Herbst ebenfalls untersucht. Sie skizzierte den auch in Grossbritannien beschrittenen Weg, die Aufsicht und Abwicklung von Banken zusammen mit der Geldpolitik unter ein Dach zu bringen. Sie schrieb: «Für die Schweiz würde das die Auslagerung der Bankaufsicht (. . .) aus der Finma in die Verantwortung der SNB bedeuten.»
Eine solche Anpassung hätte gemäss der Kommission den folgenden Vorteil: Die Verantwortlichkeit und die Mittel, eine Bank durch eine Krise zu lenken und zu sanieren, lägen in einer Hand. Den Nachteilen misst die Kommission aber mehr Platz zu: So würde die Ausweitung der SNB-Kompetenzen eine enorme Machtballung bedeuten. Und weil eine Abwicklung von Banken politisch stets Konfliktpotenzial birgt, könnte die geldpolitische Unabhängigkeit der SNB unter Druck geraten.
Die Expertenkommission sieht einen weiteren Nachteil: Zwischen der Bankenaufsicht und dem Ziel der Preisstabilität kann es zu Konflikten kommen. Entsprechend errichten Zentralbanken, die auch die Banken überwachen, meist eine «chinesische Mauer» zwischen der Abteilung für Geldpolitik und jener für Bankenaufsicht – eine Mauer, die nur im obersten Management wegfiele. Für die SNB hiesse dies: Das derzeit für die Finanzstabilität und künftig auch für die Bankenaufsicht zuständige Departement in Bern müsste weitgehend abgespalten werden.
SNB will ein enges Mandat
Die SNB dürfte wenig Interesse haben an der Bankenaufsicht. Zwar ginge das mit einer Machtausweitung einher. Doch anders als die meisten Behörden, die geeicht sind auf eine stete Ausdehnung der Zuständigkeit, will die SNB eine möglichst eng definierte Aufgabe: die Preisstabilität. Der Grund für die Selbstbescheidung: Nur bei engem Mandat lässt sich die geldpolitische Unabhängigkeit legitimieren. Als Bankenaufseher müsste man hingegen mit mehr politischer Einflussnahme rechnen.
Öffentlich äussert sich die SNB nicht zum Thema. Denn letztlich ist es eine politische Frage, wie die gesetzlichen Aufgaben von Finma, SNB und Finanzdepartement definiert werden. Auch die Bankiervereinigung will den Vorschlag Kellehers nicht kommentieren. Auf Anfrage heisst es, eine wirksame Zusammenarbeit der drei Akteure sei zentral. Inwieweit dies der Fall gewesen sei, werde in der parlamentarischen Untersuchungskommission derzeit aufgearbeitet. Diese Analyse gelte es abzuwarten.
Bleibt die Frage, warum Kelleher das US-System propagiert und findet, dort seien die Zuständigkeiten klarer definiert. Ein Beobachter vermutet, dass er ablenke von einer anderen Idee, wie das Bankensystem solider werden könnte: strengere Eigenkapitalanforderungen. Dagegen wehrt sich die UBS. Gleichzeitig ist offenkundig, dass nach der CS-Krise etwas ändern muss. Mit neuen Zuständigkeiten bei der Aufsicht könnte die Bank wohl besser leben als mit einer Verteuerung des Bankgeschäfts.