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Düstere Gefühle beim Post-Punk-Tanztee

Düstere Gefühle beim PostPunkTanztee
Kaum noch jemand hat dran geglaubt, nun kommt es doch raus: „Songs Of A Lost World“ ist ein beachtliches Alterswerk, allerdings eines, das wenig Glückshormone freisetzt.

Der englischen Rockband The Cure ist mit „Songs Of A Lost World“ ein beachtliches Alterswerk gelungen, dem durchdringende Fanfaren vorauseilten. Die bloße Ankündigung des neuen Albums stieß vor knapp sechs Wochen regelrechte Wellen der Rührung an. Manche gestandenen Kerle um die 50, die früher mit Lidschatten und toupierter Kopfbehaarung in Konzerte der lustigen Melancholie-Fürsten rannten, dürften gar feuchte Augen bekommen haben. Mit dem Erscheinen der Platte war schließlich lange nicht zu rechnen. Böse Zungen prophezeiten sogar, die fünf Musiker um den Kreativkopf Robert Smith würden nie wieder aus dem Quark kommen.

Der Grund für die Prognose: Satte 16 Jahre gingen seit der Veröffentlichung des letzten Cure-Albums „4:13 Dream“ im September 2008 ins Land. Mit derart langer Lieferpause schaffte die Band, was praktisch niemandem außer ihr je gelang: Sie ließen ähnlich zeitresistente Kollegen wie Kate Bush und Peter Gabriel vergleichsweise produktiv erscheinen. Gänzlich untätig waren die Goth-Recken freilich nicht. Kontinuierlich trug die musikmachende Inkassogesellschaft ihr gewinnbringendes Songkatalogerbe live in den großen Mehrzweckarenen der Erde vor.

The Cure: „Songs Of A Lost World“ (Fiction/Universal Music) Foto: Cover

Die Verabredung mit ihren zahlreichen Fans zum Post-Punk-Tanztee funktionierte lange Zeit bestens. Man erfreute sich am Wiederhören von Altertümern wie „A Forest“, trug dazu die letzten Reste knallroten Lippenstifts auf und wiegte sich in Erinnerungen an unbeschwerte Jugendtage. Es hätte ewig so weitergehen können. 2019 jedoch sickerten erste Informationen über eine neue Langspielplatte durch. Zunächst waren es nur Gerüchte, denen allerdings sukzessive Ankündigungen seitens der Band folgten. Greifbar wurde neues Material freilich trotzdem erst als The Cure Ende 2022 auf „Shows Of A Lost World“-Konzertreise gingen.

Ganze fünf der acht „Songs Of A Lost World“, die es schlussendlich aufs neue Album schafften, wurden damals erstmals vorgestellt. „Rückblickend betrachtet bedauere ich, die Arbeit an der Platte vor fünf Jahren überhaupt erwähnt zu haben“, seufzt Robert Smith. Seine Markenzeichen-Wuschelmähne wurde vom fortgeschrittenen Alter ausgedünnt, sie sitzt aber weiterhin perfekt ungerade. Schminktechnisch ist bei dem 65-Jährigen unterdessen alles im Lot. „Als ich 2016 an den damals bevorstehenden 40. Geburtstag der Band dachte, wollte ich ihn vorzugsweise mit einem neuen Album feiern“, erinnert er sich. „Dann jedoch brach das Leben um mich herum zusammen. Der Gedanke an neues Material verschwand so schnell, wie er zwischendurch immer wieder mal auftauchte.“ Allen Erklärungsversuchen zum Trotz manifestierte sich in der Entstehungsgeschichte der Platte selbstverständlich auch der Fluch des autarken Künstlers. The Cure mochten sich vermutlich nicht eingestehen, dass das Einhalten konkreter Abgabetermine befreiend sein kann.

Ursprünglich trug das neue Album den Titel „Live From The Moon“, weil Smith, der sich als mondsüchtig bezeichnet, der geglückten „Apollo 11“-Mondlandung am 20. Juli 1969 gedenken wollte. Die kurz hintereinander leidig erfahrenen Tode seiner Mutter, seines Vaters und seines älteren Bruders, ließen Smith das Mond-Projekt jedoch schnell ad acta legen. Obendrein hätte das Corona-Virus während der Pandemie eine Reihe seiner geliebten Tanten und Onkel das Leben gekostet, erzählt er überraschend offenherzig. So verschroben wie er aussieht, war er freilich nie. Bisweilen reagiert er zwar schroff auf allzu flache Fragen, die im lauten Singsang-Modus des Showgeschäfts vorgetragen werden. In halbwegs entspanntem Duktus konnte man allerdings zumeist gute Gespräche mit ihm führen. Privates übermittelte er dennoch weder im Interview noch in seinen Texten gern. Beim Verfassen von Songlyrik zog er bislang oftmals das Suggestive dem Konkreten vor. Die traumatisch erlebten persönlichen Verluste zwangen den Texter Smith hingegen scheinbar dazu, diesmal unmissverständliche Worte zu nutzen. Das Thematisieren von Ängsten jedweder Art zieht sich freilich seit Gründung der Band wie eine Metaebene durch ihr Werk. „Songs Of A Lost World“ macht das Unwohlsein dagegen überaus dinghaft: Es geht ums Wegbrechen von Strukturen, Leben, Ordnung, um Einsamkeit und späte Reue.

Der geneigte, langjährige Cure-Zuhörer wird alleine ob dieses Themenkomplexes bereits ahnen, dass die neue Studioeinspielung nicht dazu beiträgt, Serotoninmangel auszugleichen. Wie 1989, als die Band ihr „Disintegration“-Meisterwerk auf die Menschheit losließ, stellt Smith Orientierungslosigkeit und Verzweiflung zur Disposition. Damals, vor 35 Jahren, nahm er die Vollendung seines 30. Geburtstags zum Anlass zum Verfassen eindringlicher Lamenti.

Heute zeigt er seinen treuen Fans die Widrigkeiten des Älterwerdens und allem was damit zusammenhängt auf. Da mutet es fast folgerichtig an, dass keine der acht neuen Nummern leichtfüßig-poppig daherkommt. Die Taktung des Songs „Drone:Nodrone“ will zwar offensichtlich an den Beat des 1997 veröffentlichten Single „Wrong Number“ anknüpfen. Die Band zähmt das Ausreißer-Stück jedoch mit flankierenden Feedback-Salven, die den Pop-Verdacht im Keim ersticken. Längenmäßig lässt sich ohnehin keiner der „Lost World“-Songs des Schielens auf Spotify-Marktgesetze überführen. Dem Zweieinhalb-Minuten-Spielzeitdiktat des Streaming-Dienstes zeigen The Cure lässig den Mittelfinger. Selbst eine an sich kleine pianobasierte Ballade wie „A Fragile Thing“ beansprucht knappe fünf Minuten zur vollen Entfaltung.

Der doppelt so lange „Endsong“ steht indes exemplarisch für den Aufbau heutiger Cure-Songs. Atmosphärische Strukturen werden sorgsam-instrumental aufgebaut. Bedächtig schichten die fünf Musiker Gitarren- und Keyboardsounds aufeinander, die sich erst mal ineinander verzahnen, bevor Smith zum Gesang ansetzt. Die Durchschlagskraft des Bassisten Simon Gallup und des Schlagzeugers Jason Cooper verleiht der vordergründig-klar abgemischten Stimme diesmal gesteigerte Dringlichkeit. Die braucht es scheinbar zum Rüberbringen von Gesellschaftskritik, die im Cure-Kanon bislang kaum wahrnehmbar war. Im „Warsong“ klagt Smith: „Wir erzählen einander Lügen, um die Realität auszuklammern … alles, was wir angehen, geschieht aus Scham, verletztem Stolz und rachsüchtiger Wut“. Zur inneren Ruhe will er zwar auch im Gros der vornehmlich introspektiven Stücke nicht kommen. Aber die Musik heilt dann doch ein paar der aufgedeckten Wunden. Wie immer wird damit eine Einladung zur geteilten Co-Heilung zwischen Künstler und Zuhörer formuliert. Klassischer geht’s kaum.

Nur Robert Smith ist geblieben

The Cure wurden 1977 in der englischen Stadt Crawley, rund 45 Kilometer südlich von London gelegen, gegründet. Von den Gründungsmitgliedern ist lediglich Robert Smith übrig geblieben, das zweite dienstälteste Bandmitglied ist Simon Gallup, der 1979 dazustieß. Eine Demo-Kassette stieß kurz darauf aufs Interesse eines Talentsuchers, der im Begriff war, ein eigenes Label zu gründen. The Cure schlossen wenig später ihren ersten Plattenvertrag und im Mai 1979 erschien das Debütalbum „Three Imaginary Boys“.

Die Alben „Faith“ (1981) und „Pornography“ (1982) begründeten zunächst das Düster-Image der Band. Die 1985 erschienene LP „The Head on the Door“ schloss jedoch zum farbenfrohen Pop auf. Der kommerzielle Erfolg stellte sich prompt ein und wurde dank viel gespielter Singles wie „Friday I’m In Love“ fortgesetzt. Im kommenden Jahr will die Band erneut auf Konzertreise gehen.

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