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Industrie-Pleiten: Wenn Firmen aus den Gemeinden verschwinden

IndustriePleiten Wenn Firmen aus den Gemeinden verschwinden
Wenn Arbeitgeber vor Ort schließen, abwandern oder Jobs streichen, ist das für Gemeinden oft ein schwerer Schlag - wie das Beispiel Eitorf, zwischen Westerwald und Bergischem Land, zeigt. Von Ingrid Bertram.

reportage

Stand: 20.12.2024 14:27 Uhr

Wenn Arbeitgeber vor Ort schließen, abwandern oder Jobs streichen, ist das für Gemeinden oft ein schwerer Schlag - wie das Beispiel Eitorf, zwischen Westerwald und Bergischem Land, zeigt.

Ingrid Bertram

Rainer Viehof hat keine Zeit, Trübsal zu blasen: Der Marktplatz soll umgestaltet werden, neue Betreiber müssen für Ladenflächen gefunden werden, die Straßen sollen saniert werden. Als der Bürgermeister der Gemeinde Eitorf vor kurzem erfuhr, dass es um die hiesige Niederlassung des Pharmaunternehmens Krewel Meuselbach mit über 100 Mitarbeitern nicht gut steht, musste er schon schlucken.

"Das ist, als ob einem die eigenen Organe entnommen werden könnten", sagt Viehof. "Man sieht die Schicksale dahinter, man kennt die Menschen hier vor Ort. Das ist schon ein schwerer Schlag."

Mit dem Weggang der Firmen stirbt auch Know-how

Eitorf ist eine Gemeinde mit 19.500 Einwohnern an der Grenze zwischen Bergischem Land und Westerwald, 36 Kilometer von Köln entfernt. Lange Zeit war der Ort von einem großem Gewerbegebiet geprägt - einst war hier Schoeller Wolle zu Hause, und mit der Boge GmbH wurden hier schon vor dem Krieg Stoßdämpfer entwickelt und produziert.

Heute gibt es noch eine Stoßdämpferproduktion vom Autozulieferer ZF. Doch auch dieses Werk soll bis Ende 2027 schließen: 690 Arbeitsplätze fallen weg. Damit stirbt auch ein über nahezu ein Jahrhundert gewachsenes Know-how in der Stoßdämpfertechnik.

Warten auf den Ausbau der Landstraße - seit 60 Jahren

Noch sind die Fachkräfte da, aber werden sich neue Unternehmen wieder ansiedeln? Ein grundsätzliches Problem sieht Rainer Viehof in dem fehlenden Ausbau der Infrastruktur. So nah Köln ist, fehlt es doch am Ausbau der Anbindung zu den großen Autobahnen: "Seit 60 Jahren warten wir auf den Ausbau der L333, die 2,5 Meter zu schmal ist. Und deswegen ist auch die Industrie nicht unbedingt willens, aufgrund der langen Fahrzeiten, sich hier anzusiedeln."

Es gibt auch positive Entwicklungen in Eitorf: Auf dem ehemaligen Gelände von Schoeller Wolle sind mittlerweile 200 Arbeitsplätze bei vielen kleinen Firmen entstanden - es sind sogar 50 Stellen offen. Chancen sind also durchaus vorhanden.

Mit den großen Unternehmen gehen auch die kleinen

Aber Rainer Viehof sieht auch viele Probleme, die er als Bürgermeister nicht steuern kann und trotzdem damit umgehen muss. Über viele politische Entscheidungen aus Berlin muss er den Kopf schütteln: Etwa als in der Pandemie der Verkauf von Feuerwerk verboten wurde - nicht aber das Böllern an sich. Damit kam ein anderer großer Arbeitgeber in Eitorf ins Trudeln: der Feuerwerkshersteller WECO, der größte deutsche Produzent für Pyrotechnik.

Eitorfs Bürgermeister Rainer Viehof

Das Unternehmen sei jetzt wieder auf einem guten Weg, so der Bürgermeister. Aber aus Erfahrung weiß er, wenn ein wichtiges Unternehmen in Schieflage gerät, dann fallen automatisch viele Aufträge bei Dienstleistern weg: bei Zulieferern, Catering-Firmen, Putzfirmen, Sicherheitskräften.

Konzerne wandern ab, Mittelständler schließen

Schließen große Firmen, kann es schnell zu einem Imageverlust der Region kommen, weiß auch Hubertus Hille, Hauptgeschäftsführer der IHK Bonn/Rhein-Sieg. Besonders in Zeiten, in denen das Geld nicht locker sitzt. "Die Investitionszurückhaltung in Deutschland ist extrem ausgeprägt, weil die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einfach nicht gut sind."

In Deutschland hänge das an verschiedenen Faktoren, sagt Hille. "Die Unternehmen warten ab, wie sich die Energiepreise oder die Bürokratie weiterentwickeln werden und ob wir unsere Infrastruktur in den Griff bekommen." Das Beispiel Eitorf stehe für einen bundesweiten Trend: Fachleute nennen ihn "Deindustriealisierung".

Das heißt: Für Firmen in Deutschland geht die Wettbewerbsfähigkeit gerade im Vergleich zu Ländern wie USA und China verloren. Und das, so Hille, treibe manche Unternehmen aus dem Land, wenn sie sich den Umzug ins Ausland leisten könnten. Die kleinen und mittleren Firmen machen dann einfach zu.

"Weichen werden im Bund und in Europa gestellt"

Doch wie rauskommen aus dieser Spirale? Hebesätze für die Gewerbesteuer zu senken könnte ein Mittel sein. Durch die Abwanderung der Industrie drohen Einnahmeverluste im kommunalen Haushalt. "Eine Kommune hat nur begrenzte Möglichkeiten, den Standort zu stärken, etwa auch durch eine unternehmensfreundliche Verwaltung", sagt Hille. Die maßgeblichen Weichen für die Standortfaktoren würden "im Bund und in Europa gestellt".

Deswegen hat auch die IHK ihre Erwartungen an eine neue Bundesregierung: "Wir brauchen sinkende Energiepreise, zum Beispiel indem die Netzentgelte gesenkt werden, wir brauchen weniger Bürokratie durch eine wirkliche Entlastung und wir brauchen auch Infrastruktur, wir brauchen Straßen, Schienen und andere Netze."

Es kostet viel Energie

In Eitorf blickt Bürgermeister Viehof realistisch auf die schwierige Lage. Er weiß, dass er die Unternehmen nur schwer in ihren Entscheidungen beeinflussen kann. Aber er hat im Rathaus bereits eine eigene Stelle in der Wirtschaftsförderung geschaffen, um auf die anstehende Schließung des Werkes von ZF zu reagieren.

Mit der Universität Köln werden Businesspläne erstellt und Finanzierungsmöglichkeiten gesucht. Aber diese Wirtschaftslage koste jede Menge Energie, sagt er. "Aber man muss natürlich auch sagen, nachlassen ist keine Option, und deswegen muss man mit Bedacht, aber auch zielgerichtet darangehen."

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