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"Chips Act" der EU: Lohnt sich Europas Chip-Offensive?

Chips Act der EU Lohnt sich Europas ChipOffensive
Mit 45 Milliarden Euro will Brüssel die Entwicklung und den Bau von Chipwerken in Europa vorantreiben. Die Branche begrüßt den "Chips Act". Doch Experten zweifeln, ob die Strategie richtig ist. Von Notker Blechner.

Analyse

Stand: 12.02.2022 12:15 Uhr

Mit 45 Milliarden Euro will Brüssel die Entwicklung und den Bau von Chipwerken in Europa vorantreiben. Die Branche begrüßt den "Chips Act". Doch Experten zweifeln, ob die Strategie richtig ist.

Von Notker Blechner, tagesschau.de

An aussichtslose Situationen hat sich Thierry Breton gewöhnt. Der EU-Binnenmarktkommissar war einst Chef von französischen IT-Firmen wie Bull, Thomson und Atos und kämpfte gegen die übermächtige US-Konkurrenz. Nun will der Franzose Europas Chipindustrie zum Leben erwecken. Bis 2030 soll sich der Anteil der europäischen Halbleiterhersteller an der globalen Chipproduktion auf 20 Prozent verdoppeln. Bisher krebste er bei neun Prozent. Zum Vergleich: Anfang der 1990er Jahre hatten die Europäer noch einen Weltmarktanteil von 44 Prozent.

Knapp 45 Milliarden Euro für Investitionen in europäische Chips

Gelingen soll die Aufholjagd durch ein gigantisches Investitionsprogramm: Knapp 45 Milliarden Euro will die EU-Kommission der Branche zur Verfügung stellen, damit sie auf dem Alten Kontinent die Halbleiter-Entwicklung vorantreibt und neue Fabriken baut. Gut zwei Drittel der Investitionen könnten als Subventionen eingesetzt werden.

Die Milliarden dürften vor allem die ausländischen Chip-Giganten anlocken, in Europa zu produzieren. So plant Intel den Bau von zwei Fabriken in Europa für 20 Milliarden Dollar, falls die Konditionen stimmen. Soll heißen: Falls genügend Subventionen fließen. Denn der Bau von Chipfabriken in Europa ist bislang 30 bis 40 Prozent teurer als in Asien, sagt Intel-Chef Pat Gelsinger.

TSMC und Intel suchen Standorte in Europa

Auch der größte Chipfertiger der Welt, TSMC aus Taiwan, und der Chipkonzern Global Wafers suchen nach Standorten in Europa für künftige Chipfabriken. In Deutschland, vor allem im "Silicon Saxony" rund um Dresden, macht man sich große Hoffnungen, den Zuschlag zu bekommen.

Ob die EU mit dem "Chips Act" die heimischen Hersteller fördert, ist fraglich. Sie haben es auch ohne große Hilfen aus Brüssel geschafft, in jüngster Zeit Milliarden-Investitionen zu stemmen. So hat der Münchner Chipkonzern Infineon mitten in der Corona-Pandemie ein neues Werk im österreichischen Villach am Dreiländereck zu Italien und Slowenien hochgezogen. Kosten: rund 1,6 Milliarden Euro. "Der Zeitpunkt, neue Kapazitäten in Europa zu schaffen, könnte angesichts der global wachsenden Nachfrage nach Leistungshalbleitern nicht besser sein", sagte damals Infineon-Chef Reinhard Ploss stolz.

Nichtsdestotrotz begrüßt Infineon jetzt das europäische Chip-Gesetz. Es sei "ein wichtiger Schritt, um in Europa ein Halbleiterökosystem auf globalem Spitzenniveau zu etablieren und einseitige Abhängigkeiten abzubauen", sagt Ploss. Er hatte in der Vergangenheit immer wieder den unfairen Subventionswettlauf auf dem globalen Chipmarkt kritisiert.

"Weckruf für die Mikroelektronik-Branche"

Der Verband der Elektronikbranche ZVEI lobt den EU Chips Act als "Weckruf, um die Mikroelektronikbranche in Europa endlich nachhaltig zu stärken und einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden". Ähnlich freundlich kommentiert die Interessensvertretung des "Silicon Saxony" die Chipoffensive aus Brüssel. "Es ist sehr gut, dass Europa mit dem 'Chips Act' Rahmenbedingungen schafft, die in anderen Regionen der Welt zum Aufstieg marktdominierender Chipfirmen geführt haben", sagt Geschäftsführer Frank Bösenberg zu tagesschau.de. "Europa ist aus dem Wettrennen um immer kleinere und leistungsfähigere Chips vor langer Zeit ausgestiegen. Ein neuer Einstieg ist ambitioniert und wird lange dauern."

Förderprogramm für Chip-Industrie in der Europäischen Union

Michael Grytz, ARD Brüssel, tagesschau 16.00 Uhr, 8.2.2022

Unabhängige Experten äußern sich zurückhaltender. "Obwohl sich die Debatte vor allem um modernste Mega Fabs gedreht hat, ermöglichen die Regelungen im 'Chips Act' auch die stärkere Subventionierung von Vorhaben europäischer Hersteller wie Infineon, STMicroelectronics oder Bosch", meint Jan-Peter Kleinhans, Leiter Technologie und Geopolitik von der Stiftung Neue Verantwortung, auf tagesschau.de. Es bleibe abzuwarten, welche Unternehmen und welche Projekte am Ende das "Go" bekommen.

Von den neuen Mega Fabs, also den riesigen Fabriken, die bald in Europa aus dem Boden sprießen könnten, dürfte eher die europäische Industrie, insbesondere die Autobranche, profitieren. VW, Mercedes, BMW & Co. litten zuletzt unter dem Chipmangel und mussten zeitweise die Produktion drosseln. Der "Chips Act" ziele auch auf die Schlüsselindustrie, die Autohersteller, die auf ihrem Weg zur Elektromobilität dringend auf hochwertige Chips angewiesen ist, erklärt Halbleiter-Experte Marcus Gloger von der Strategieberatung PwC Strategy&.

Asien investiert deutlich mehr in die Halbleiterbranche

Branchenbeobachter bezweifeln, dass Europas Chipindustrie eine echte Aufholjagd gegenüber der Konkurrenz aus Asien und zunehmend aus den USA gelingt. Denn dort werden ganz andere Summen ausgegeben zur Förderung der Chipbranche. China steckt über eine Billion Dollar in Förderprogramme für Technologien wie die Halbleiterindustrie. Auch Südkorea lässt sich nicht lumpen: Das Land bietet bis 2030 den Chipbauern steuerliche Anreize von 450 Milliarden Dollar.

Und die USA locken ebenfalls mit üppigen Subventionen die Halbleiterhersteller an. Vor kurzem verabschiedete die Biden-Regierung den "Chips for America Act" mit Investitionen von 52 Milliarden Dollar bis 2026. Schon jetzt gibt es erste Ansiedlungserfolge: In Ohio will TSMC eine Mega-Fab für 12 Milliarden Dollar errichten. Nebenan plant Intel zwei Fabriken für 20 Milliarden Dollar. Das Projekt könnte noch auf 100 Milliarden Dollar aufgestockt ausgeweitet werden. Bis zu acht Intel-Fabriken könnten in Ohio entstehen.

Die Illustration zeigt frühe Pläne für zwei neue Chipfabriken von Intel in Licking County, Ohio. Bild: picture alliance/dpa/Intel Corpo

Europäischer "Chips Act" reicht langfristig nicht aus!

So muss Europas Chipindustrie Milliarden investieren, damit sie nicht den Anschluss an Asien und die USA verliert. Alleine um den derzeitigen Marktanteil zu halten, müssten die Fertigungskapazitäten in Europa bis Ende der 2020er Jahre verdoppelt werden, meint der Elektronikverband ZVEI. "45 Milliarden sind nur ein Anfang", sagt Silicon-Saxony-Geschäftsführer Bösenberg. Langfristig reiche der "Chips Act" zur Stärkung der europäischen Halbleiterindustrie alleine nicht aus. "Europa muss gleichzeitig die Ambition verfolgen, in zentralen Branchen, die massenhaft Hochleistungschips benötigen, europäische Industriechampions zu schaffen." Nur so würden sich die Subventionen langfristig auch rechnen.

Manche Branchenexperten halten die Strategie Brüssels, vor allem kleinere Chips mit einer Größe von unter zehn Nanometer zu fördern, für falsch. ZVEI-Geschäftsführer Wolfgang Weber hält diesen Fokus für zu eng. Er gehe am Bedarf der europäischen Abnehmerindustrie vorbei. "Europa muss seine Kompetenz in allen Strukturgrößen stärken."

Förderung von Kleinst-Chips "aussichtsloses Vorhaben"

Tech-Experte Junghans von der Stiftung Neue Verantwortung spricht gar von einem "aussichtslosen Vorhaben". Es gebe derzeit in Europa kein einziges Unternehmen, das auf solche Kleinstchips angewiesen ist, sagt er. Stattdessen herrsche ein Riesenbedarf nach Chips in Größen von 10 bis 28 Nanometer.

Anders sieht das Experte Gloger von PwC Strategy&: Wenn die führenden Chip-Riesen in Europa produzieren, brächten sie auch die neue moderne Zwei-Nanometer-Technologie nach Europa. Von diesem Knowhow-Transfer würden dann auch europäische Halbleiterhersteller profitieren, die bisher den Markt mit größeren Chips abdecken. Gloger: "Der Chips Act hat durchaus zahlreiche Vorteile für die Branche."

An drohende Überkapazitäten in der Branche, falls übermorgen massenweise Chipfabriken gebaut werden, glaubt momentan niemand. Die Chipknappheit in der Autoindustrie und in anderen Bereichen werde bis weit in das Jahr 2022 bestehen bleiben, prophezeit der scheidende Infineon-Chef Ploss. Der Bedarf nach Halbleitern dürfte mit der zunehmenden Digitalisierung dann auch in den nächsten Jahren weiter rasant steigen. Nach Einschätzung der Analysten von Gartner wird die Chipindustrie 2022 den Umsatz um 100 Milliarden auf 600 Milliarden Dollar steigern. 2030 könnte dann erstmals die Billionen-Marke geknackt werden.

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