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"Psychische Gewalt" im Tischtennis: Berichte untermauern Vorwürfe gegen Spitzenfunktionäre

Psychische Gewalt im Tischtennis Berichte untermauern Vorwürfe gegen 
Spitzenfunktionäre
Verbandsinterne Untersuchungskommission sieht "nachhaltig zerrüttetes Verhältnis". ÖTTV-Präsident Gotschke und Sportdirektor Fegerl weisen Anschuldigungen zurück

Tischtennis

Verbandsinterne Untersuchungskommission sieht "nachhaltig zerrüttetes Verhältnis". ÖTTV-Präsident Gotschke und Sportdirektor Fegerl weisen Anschuldigungen zurück

Fritz Neumann

15. Dezember 2024, 14:30

Ein Glück, dass die Leistungen der österreichischen Tischtennisspielerinnen und -spieler nicht die Situation des Verbands widerspiegeln. Bei der EM im Oktober in Linz gab es vier Medaillen für die Gastgeber. Sofia Polcanova ragte mit zweimal Gold (Einzel, Mixed gemeinsam mit Robert Gardos) und einmal Silber (Doppel) heraus. Maciej Kolodziejczyk freute sich über Bronze (Doppel).
REUTERS/Maja Smiejkowska

Von wegen stillste Zeit des Jahres. Die Turbulenzen im heimischen Tischtennissport erreichen einen neuen Höhepunkt. Dem STANDARD liegt der Abschlussbericht jener verbandsinternen Untersuchungskommission vor, die sich mit schweren Vorwürfen mehrerer Spitzenspielerinnen und -spieler gegen den Präsidenten des Tischtennisverbands (ÖTTV), Wolfgang Gotschke, und gegen ÖTTV-Sportdirektor Stefan Fegerl zu befassen hatte. Dabei ging es, wie ein Brief des Wiener Rechtsanwalts Stefan Korn dokumentiert, um "massive Übergriffe in Form von psychischer Gewalt und Vernachlässigung".

Der aktuelle Bericht untermauert die Vorwürfe. So heißt es in der Zusammenfassung auf der letzten von knapp vierzig Seiten: Bezogen auf Gotschke und Fegerl seien "schwere Mängel hinsichtlich der sozialen Kompetenz, der Kommunikation und der Verbandsführung ersichtlich geworden". Und es sei "festzuhalten, dass das Verhältnis zwischen den befragten Athleten einerseits und den beiden beschuldigten Personen andererseits nachhaltig zerrüttet ist".

Die Kommission setzte sich aus den Landesverbandspräsidenten Hubert Dobrounig (Kärnten), Walter Windischbauer (Salzburg) und Helmut Jäger (Burgenland) zusammen. Sie berichtete nach vier Sitzungen abschließend über Stellungnahmen von Spielerinnen und Spielern, aktuellen und ehemaligen Funktionären, Trainern sowie Verbandsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern, insgesamt rund eineinhalb Dutzend Personen.

"Feindselige Atmosphäre"

Insbesondere die protokollierten Aussagen mehrerer Spitzenspielerinnen und -spieler lassen tief blicken. Schließlich ist Österreich im Tischtennis keine kleine Nummer. Bei der Heim-EM im Oktober in Linz gab es vier Medaillen für Rot-Weiß-Rot: Sofia Polcanova, kurz zuvor Olympiafünfte, siegte im Einzel und im Mixed (mit Landsmann Robert Gardos), im Doppel holte sie Silber (mit der Rumänin Bernadette Szöcs). Ebenfalls im Doppel gab es Bronze für Maciej Kolodziejczyk (mit dem Moldawier Vladislav Ursu).

Vor der EM in Linz trafen sich ÖTTV-Spitze, Politik und Aktive für ein gemeinsames Foto. Von links: ÖTTV-Sportdirektor Stefan Fegerl, Maciej Kolodziejczyk, Oberösterreichs Sportlandesrat Markus Achleitner, Sofia Polcanova, EM-OK-Chefin Elisabeth Schrenk, Nina Skerbinz, ÖTTV-Präsident Wolfgang Gotschke und Andreas Levenko.
APA/THOMAS BLASCHKE

Man sollte meinen, bei solchen Erfolgen läuft es rund in einem Verband. Nicht im ÖTTV. Im Bericht wird "feindselige und belastende Atmosphäre im Verhältnis zum ÖTTV, geprägt von psychischem Druck, mangelnder Kommunikation und einer hohen Angst vor Repressionen" beschrieben. Ein Spitzenspieler gab ad Gotschke und Fegerl an, er habe "Angst vor den beiden". Es habe "wiederholte mündliche Druckausübung" stattgefunden.

"Ignorierte Bedürfnisse"

Eine Spielerin klagt im Bericht über "schlechte Kommunikation und unzureichende Unterstützung durch die ÖTTV-Führung" sowie "eine wiederkehrende Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen und Anliegen von Leistungssportlerinnen". Eine andere Spitzenspielerin unterstreicht das und kritisiert, dass der Verband einen neuen Nationaltrainer installierte, ohne dass mit den Spielerinnen Rücksprache gehalten worden wäre. Als der Trainer etwa keine Trainingspläne bereitstellte, habe sie sich im Verband beschwert, aber keine Unterstützung bekommen.

Gotschke und Fegerl wurden klarerweise auch von der Kommission befragt. Dabei wiesen sie laut Bericht in Bezug auf psychische Gewalt und Vernachlässigung neuerlich "alle Anschuldigungen zurück". Im Bereich der Kommunikation habe es aber "Schwierigkeiten" gegeben.

"Massive Ängste"

Knapp zehn Aktive hatten sich bereits im Spätsommer nicht nur an Rechtsanwalt Korn, sondern auch an die Vertrauensstelle gegen Belästigung und Gewalt, Kompetenzbereich Sport (kurz Vera*) gewandt, mit der Bitte um eine fachliche Einschätzung. Schon in einem ersten Vera*-Statement hieß es damals: "Die konkreten, authentischen und nachvollziehbaren Darstellungen der Meldenden lassen den fachlichen Schluss zu, dass es vermehrt zu psychischer Gewalt und Vernachlässigung kam, wodurch eine Athlet*innenwohlgefährdung deutlich wurde."

Mittlerweile gibt es seitens Vera* eine "erweiterte fachliche Situationseinschätzung", auch dieser Bericht liegt dem STANDARD vor. Und auch hier werden Vorwürfe erhoben: "psychische Gewalt" durch unter anderem "Druckausübung, Androhung schwerwiegender Konsequenzen, Einschüchterung"; auch "persönliches unangekündigtes 'Abfangen' von Athlet:innen" habe unter anderem "massive Ängste", auch "Existenzängste", und jedenfalls "psychische Belastung" verursacht.

Laut Vera* hatte sich der ÖTTV in einem von Gotschke und Fegerl unterzeichneten "Bekenntnis für Respekt und gegen Gewalt" im November 2022 verpflichtet, jegliche Form von Gewalt zu verurteilen. Doch dies stehe "in einem klaren Widerspruch zu den geschilderten und an Vera* Sport herangetragenen Verhaltensweisen". Es müsse "von einer Gefährdung des Athlet*innenwohls im ÖTTV ausgegangen werden".

Der Anwaltsbrief

Erste Vorwürfe gegen Gotschke und Fegerl waren bereits vor der Heim-EM im Oktober in Linz laut geworden. Das eingangs erwähnte Anwaltsschreiben mit Stellungnahmen mehrerer Athleten und Athletinnen, die zunächst anonym bleiben wollten, brachte den Stein ins Rollen. Verfasst und an die Präsidenten der neun Landesverbände geschickt hatte den Brief, wie der STANDARD Anfang September berichtete, der Wiener Rechtsanwalt Stefan Korn. Er forderte "die Abberufung des ÖTTV-Vorstandes".

Korn hielt im Brief gleich eingangs fest: "Unsere Mandanten berichten von mehreren massiven Übergriffen in Form von psychischer Gewalt und Vernachlässigung durch den aktuellen Präsidenten des ÖTTV Herrn Ing. Wolfgang Gotschke und den ÖTTV-Sportchef Stefan Fegerl. Dies z. B. in Form von Einschüchterungen und mehr oder minder verhohlenen Sanktionsdrohungen."

Gotschke und Fegerl erklärten auf Anfrage des STANDARD bereits damals unter anderem: "Wir nehmen die uns zugetragenen Vorwürfe sehr ernst, weisen sie jedoch entschieden zurück. Die uns vorgeworfenen Handlungen widersprechen in jeglicher Hinsicht den Werten und Grundsätzen unseres Verbandes. Um den Schutz der Betroffenen zu gewährleisten und einen konstruktiven Dialog zu ermöglichen, werden wir die Angelegenheit intern behandeln und keine weiteren öffentlichen Stellungnahmen abgeben."

Konferenz am Montag

Etwas später sagte Gotschke im Gespräch mit der Austria Presse Agentur (APA), der Verband habe "eine unabhängige Untersuchungskommission eingesetzt, die das aufklären will. Ich habe großes Interesse, ein Ergebnis zu kriegen – in welcher Richtung auch immer." Die Richtung könnte nun feststehen. Am Montag ist eine Präsidentenkonferenz angesetzt, die neun Landesverbandspräsidenten und der ÖTTV-Vorstand mit Gotschke und Fegerl wollen über die weitere Vorgangsweise beraten. Sie alle sollten in den vergangenen Tagen den Abschlussbericht der ÖTTV-Untersuchungskommission erhalten.

Im Oktober, noch bevor die Kommission ihre Arbeit aufnahm, hatte ÖTTV-Präsident Gotschke angekündigt: "Wenn das Ergebnis am Tisch liegt, werden wir das im Verband diskutieren und Konsequenzen daraus ziehen." Für Gotschke und Fegerl gilt hinsichtlich aller Vorwürfe die Unschuldsvermutung. Die angekündigte Diskussion im Verband wird jetzt aber stattfinden. (Fritz Neumann, 15.12.2024)

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