Die Tränen des leidenden „Bully Boys“
Michael Smith ist ein Mann für Darts-Traumszenarien. Vor seinem ersten WM-Finale 2019 fantasierte der Engländer vor seiner Hochzeit von einer Zeremonie, die sich nicht nur um ihn und seine Zukünftige dreht, sondern auch um die riesige Sid Waddell Trophy. Smith' Freundin sollte dabei gefragt werden, ob sie den aktuellen Darts-Weltmeister heiraten möchte. Doch daraus wurde nichts, der „Bully Boy“ unterlag dem Niederländer Michael van Gerwen mit 3:7.
Auch diesmal hegte Smith wieder verträumte Gedanken. Angesichts seines Spitznamens wolle er sich nach der WM einen Bullen kaufen. „Wenn ich die WM gewinne, überzeuge ich meine Frau davon. Ich werde ihn 'Ferdinand' nennen, wie in dem Cartoon. Man kann ja nicht zu meinem Haus kommen und keinen Bullen sehen, oder?“, kündigte Smith im TV-Sender Sport1 an. Doch wieder scheiterte der Plan, denn diesmal gewann der Schotte Peter Wright mit 7:5.
Smith machte das nächste verlorene Endspiel am Montagabend fertig, er brach mehrere Male in Tränen aus. „Ich habe nun fünf Sätze gewonnen statt drei“, sagte er mit einem Schuss Sarkasmus. Er müsse in einem früheren Leben etwas Schlimmes gemacht haben, dass es ihm nun so im Kopf zu schaffen mache. Als Trost bleiben 200.000 Pfund (etwa 238.000 Euro) Preisgeld und ein Rekord: 83 Mal 180 Punkte bei einer WM.
Nach einem hochemotionalen und turbulenten WM-Turnier sorgten Weltmeister Wright und der besiegte Smith für die passenden Schlussbilder. „Snakebite“ Wright reckte nach dem packenden Duell erst mehrmals die riesige Trophäe in die Höhe, dann hüpfte der 51 Jahre alte Schotte zu seiner Einlaufmusik „Don't stop the party“ von Pitbull von rechts nach links und wieder zurück.
Wright gesellt sich in eine illustre Reihe. Zwei WM-Titel oder mehr haben beim Weltverband PDC nur sechs Spieler erreicht. Vor dem bunt frisierten Schotten waren dies der Engländer Phil Taylor (14 Titel), der Niederländer Michael van Gerwen (drei) sowie Gary Anderson (Schottland), Adrian Lewis (England) und John Part aus Kanada (jeweils zwei). „Ich bin überglücklich. Ich habe es geschafft“, sagte Wright, der in der Weltrangliste ganz nah an Primus Gerwyn Price aus Wales heranrückt und diesen 2022 überholen könnte. Platz eins ist seit längerer Zeit ein erklärtes Ziel von ihm.
„The Flying Scotsman“, wie Gary Anderson genannt wird, gratulierte direkt via Twitter. Am Abend zuvor hatte er das direkte Duell gegen seinen Landsmann mit 4:6 verloren. Wright hatte gegen Englands Callan Rydz (5:4), Anderson und Smith an drei aufeinanderfolgenden Abenden schwierige Spiele gewonnen. An eine große Feier anlässlich des Triumphs und eines Preisgelds von 500.000 Pfund (rund 595.000 Euro) dachte der Routinier aber nicht. „Es gibt keine Party, aber ein oder zwei Tassen Tee“, sagte Wright bei DAZN. Für mehr sei er zu alt.
Das zwischenzeitlich ins Corona-Chaos abgedriftete WM-Turnier fand am Ende ein versöhnliches Ende. Ein halbes Dutzend positiver Tests bei Spielern sorgte für Ärger und mehrere Spielausfälle. Prominentestes Opfer war der Niederländer Michael van Gerwen, der nach einem positiven Test kampflos ausschied. Auch an der Zuschauersituation änderte sich bis zum Schluss nichts. Der „Ally Pally“ im Londoner Norden durfte über die drei Wochen voll ausgelastet werden.
Anders als sonst verzichtete der Weltverband diesmal darauf, nach dem WM-Finale die zehn Starter für die Premier League zu verkünden. Weltmeister Wright, Primus Price sowie van Gerwen und der Engländer James Wade sind über die Rangliste gesetzt. Am untröstlichen WM-Finalisten Smith dürfte ebenso wenig ein Weg vorbeiführen wie an Anderson und dem Waliser Jonny Clayton, der im Jahr 2021 vier Major-Turniere gewann. Das nächste große Darts-Turnier ist das Masters (28. bis 30. Januar).