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20 Jahre Haft für Haupttäter Dominique Pelicot in ...

20 Jahre Haft für Haupttäter Dominique Pelicot in
Alle 51 Täter wurden vollumfänglich für schuldig erklärt, der Hauptangeklagte erhielt die Maximalstrafe. Gisèle Pelicot sagte in erster Reaktion, der Prozess sei eine schwere Prüfung gewesen, sie bereue aber nichts

Höchststrafe

Alle 51 Täter wurden vollumfänglich für schuldig erklärt, der Hauptangeklagte erhielt die Maximalstrafe. Gisèle Pelicot sagte in erster Reaktion, der Prozess sei eine schwere Prüfung gewesen, sie bereue aber nichts

Stefan Brändle

aus Paris

aktualisiert am 19. Dezember 2024, 13:16

"Danke Giséle! Alle Frauen weltweit unterstützen Sie!" Demo vor dem Gerichtsgebäude in Avignon.
AFP/CLEMENT MAHOUDEAU

Sogar der Staatschef musste hintanstehen, als Gisèle Pelicot im Gerichtsgebäude eintraf: Die französischen TV-Sender berichteten am Donnerstagvormittag nicht über Emmanuel Macron, der zeitgleich auf dem Flughafen des von einem Wirbelsturm betroffenen Übersee-Departements Mayotte eintraf; ein Kamerapulk folgte in der Provence-Metropole Avignon lieber der neuen Ikone aller Frauen, als sie in Begleitung eines Anwalts den Verhandlungssaal A betrat.

An der historischen Stadtmauer wurde sie mit einem Riesentransparent mit der schlichten Aufschrift "Merci Gisèle" begrüßt. Gleichlautende Rufe des Publikums folgten der 72-jährigen Pensionistin, die lächelnd Hände schüttelte. "Danke für Ihren Mut, danke für Ihre Würde, danke, dass Sie Ihre Geschichte mit uns geteilt haben", rief eine ältere Frau mit Blick auf die jahrelange Vergewaltigung durch den Ex-Gatten Dominique Pelicot und rund 70 Komplizen. 51 standen dann vor Gericht.

Video: Vergewaltigungsprozess von Avignon - 20 Jahre Haft für Dominique Pelicot.
AFP

Sarkastische Weihnachtsgrüße

Die Angeklagten mussten sich ebenfalls einen Weg durch die Zaungäste bahnen – die einen mit erkennbarem Gesicht, andere vermummt. Einige hatten eine Tasche oder einen Koffer dabei, da sie damit rechnen mussten, im Anschluss an die Urteilsverkündung ohne Verzug inhaftiert zu werden. Vertreterinnen des Frauenverbands Les Amazones d'Avignon versuchten ihnen Orangen zuzustecken und "Frohe Weihnachten" zu wünschen; die Polizei hinderte sie aber an dieser sarkastisch-ironischen Aktion.

Die fünf Richter gaben das Urteil im Anschluss an eine dreitägige Klausur bekannt. Entschieden hatten sie in geheimen Mehrheitsabstimmungen. Der Hauptangeklagte Dominique Pelicot erhielt die Maximalstrafe von 20 Jahren. Der heute 72-jährige Ex-Elektriker hatte seine Frau in ihrem Haus in der Provence-Gemeinde Mazan jahrelang immer wieder betäubt, um sie dann via Internet mindestens 70 Männern zum sexuellen Missbrauch anzubieten. Pelicot war geständig. In seinem Schlusswort hatte er Reue gezeigt und seine Ex-Frau Gisèle um Entschuldigung gebeten. Zuvor hatte er – ohne Beweise – erklärt, er sei als Achtjähriger selbst vergewaltigt worden. Ob er Berufung einlegen wird, blieb vorerst offen.

Gisèle Pelicot sagte in einer ersten Stellungnahme, sie respektiere das Gericht und dessen Entscheidung und bedankte sich bei allen, die sie unterstützt hatten. Das Verfahren sei eine "sehr schwere Prüfung" gewesen. Sie sprach von "tiefer Emotion", die sie im Prozess begleitet habe. Dennoch habe sie die "Entscheidung das Verfahren öffentlich zu machen, niemals bereut", so die 72-jährige.

"XXL-Perversling"

Der "XXL-Perversling", wie ihn französische Medien nennen, wird sich auch noch in zwei anderen Fällen verantworten müssen, unter anderem wegen Vergewaltigung einer Immobilienangestellten und eines Mordes. An mindestens einem Tatort wurden Pelicots DNA-Spuren gefunden.

Gisèle Pelicot vor dem Gerichtsgebäude am Tag des Urteils gegen ihre Peiniger.
AFP/CLEMENT MAHOUDEAU

Auch von den 50 übrigen Angeklagten wurde kein einziger freigesprochen, obwohl ihre Anwälte in 35 Fällen den Tatbestand der Vergewaltigung bestritten hatten. Die Strafmaße reichen in der Mehrheit der Fälle von acht bis zwölf Jahren. Die Staatsanwaltschaft hatte jeweils drei oder vier Jahre mehr verlangt.

Das Gericht wirft den Tätern vor, sie hätten Pelicots Einladung, sich über seine betäubte und reglose Frau herzumachen, bereitwillig angenommen. Um eine Einwilligung hätten sie das Opfer nie ersucht. Deshalb handle es sich um einen klaren Akt der Gewalt.

Die Verteidigerinnen ließen schon im Vorfeld durchblicken, dass sie in Berufung gehen würden. Mit ihren Argumenten drangen sie aber kaum durch. Die Anwältin Nadia El Bouroumi, die den Prozessverlauf auch über die sozialen Medien kommentierte, behauptete, ihre beiden Klienten seien selber "Opfer" – nämlich von Dominique Pelicot. So wie er seine Gattin jahrzehntelang hintergangen und über sein wahres Ich getäuscht habe, so erfolgreich habe er seine Mitangeklagten gesteuert, um seine morbiden sexuellen Fantasien umzusetzen.

"Kultur der Vergewaltigung"

Das Hauptargument der Verteidigung lautete, die nächtlichen "Besucher" des Pelicot-Hauses hätten nur einem Sexspiel mit einem ungleichen Ehepaar beizuwohnen geglaubt; sie hätten keinerlei Absicht zur Vergewaltigung gehabt oder ausgedrückt. Damit sei der Tatbestand nicht vollständig erfüllt.

Das Gericht sah die Absicht aber als gegeben an. Trotz der offensichtlichen Reglosigkeit Gisèle Pelicots hätten die Täter nicht von ihr abgelassen. Die Ausnützung von Wehrlosigkeit gilt nach französischem Recht als erschwerender Umstand. Die höchsten Haftstrafen erhielten jene Angeklagten, die mehrmals – bis zu sechs Mal – den meist mitgefilmten Gewaltorgien aktiv beigewohnt hatten.

Die am Rande des Prozesses vieldiskutierte Frage, ob dieser Verbrechensserie eine "Kultur der Vergewaltigung" zugrunde lag, hatte das Gericht nicht zu beantworten. Es äußerte sich auch nicht zur Frage, ob es sich bei den Tätern um "normale Männer" aus allen Alters- und Berufskategorien handelt – oder um pathologische Kriminelle.

Die Angeklagten stellten sich selber als Durchschnittsbürger dar, die anfangs nur eine Pornoseite besucht hätten, bevor sie von Dominique Pelicot manipuliert worden seien. Einer sagte, er lebe so korrekt, dass er nicht einmal bei Rot über den Zebrastreifen gehen würde; Dominique Pelicot habe ihn angelogen. Ein anderer Verurteilter stammt selbst aus einer Familie voller Gewalt und einer inzestuösen Beziehung seiner Mutter zu ihrem Vater.

Kritik an Strafmaßen

Die Staatsanwaltschaft hielt hingegen fest, dass nur zwei der Täter den Rückzug angetreten hätten, als sie in Pelicots Schlafzimmer eine reglose Frau vorfanden. Und keiner habe je die Polizei in Kenntnis gesetzt.

Viele Feministinnen, die vor dem Gerichtsgebäude in Avignon seit Prozessbeginn im September demonstrierten, sahen darin einen Beleg, dass es durchaus ein kollektives Verhalten dieser Männer gegeben habe. Ein Transparent forderte deshalb die Höchststrafe von "20 Jahren für alle".

Die Verurteilten nahmen die Urteile teils mit Kopfschütteln auf; ihre Familienangehörigen protestierten in einem Nebensaal lauthals. Einige verließen das Gericht voller Wut. Die Polizei bezog Stellung, um allfällige Ausschreitungen zu verhindern.

Aber auch Caroline Darian, Pelicots Tochter, kritisierte die ihrer Meinung nach zu milden Urteile. Gisèle Pelicot selbst reagierte – wie ihr Ex-Gatte – weithin reglos, als das Urteil verlesen wurde. (Stefan Brändle aus Paris, 19.12.2024)

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