Schön und gut: Mazda 6e
Sperrfristen sind so eine Sache. Diese hier bezieht sich auf eine exklusive Vorschau Ende November 2024 im Forschungs- und Entwicklungszentrum von Mazda Europa, der Bericht durfte aber erst am 10. Jänner ab 9 Uhr früh Oberurseler Zeitrechnung erscheinen. Immerhin ist der Grund nachvollziehbar, die offizielle Premiere erfolgt dieser Tage im Rahmen des Brüsseler Autosalons, erst damit ist die Katze mit dem statisch aufgeladenen Fell offiziell aus dem Sack.
An den grundlegenden Informationen ändert sich dabei nichts, und die lauten: Mazda 6e, Elektro-Limousine, 4,92 Meter lang, 330 Liter Kofferraum, Hinterradantrieb, zwei Motorisierungen, bis zu 552 Kilometer Reichweite, erhältlich ab Sommer. Und damit Ihnen nochmal nachträglich die besten Wünsche für das neue Jahr.
Ach so, Sie wollen mehr wissen. Wollten wir auch, und die Oberurseler Truppe vermittelte uns ein paar tiefergehende Eindrücke, die wir gerne weitergeben. Zunächst einmal sieht Mazda den 6e als "ideale Überbrückung", bis die ersten Fahrzeuge auf der hauseigenen Elektroplattform startklar sind. Das war ursprünglich für 2026 geplant, und auch wenn Mazda das nicht kommentiert, verschiebt sich das wohl auf 2027. Verzögerungen dieser Art sind bei derart komplexen technischen Architekturen in der Branche allerdings alles andere als ungewöhnlich.
Da kam den Japanern zupass, dass sie mit Changan in China über einen Kooperationspartner verfügen, der gerade eine E-Plattform frei hatte, sprich derer sich die Mazda-Sans bedienen konnten und ihr einen eigenen – bildhübschen – Aufbau draufstellen konnten.
Vorgestellt wurde das Fahrzeug im April 2024 auf der Peking Auto Show als EZ-6, es war ursprünglich nur für China vorgesehen. Doch manchmal kommt es anders: Das für die Alte Welt gedachte Modell heißt 6e und differiert optisch nicht groß vom EZ, Ingo Spruytenburg von der Produktkommunikation bei Mazda Europa sieht darin einen "markanten Beginn einer neuen Ära."
Ja, der konventionell angetriebene Mazda6 läuft mit Ende des Produktzyklus aus, ja, Limousine und Kombi zählen zu den ausgereiftesten Fahrzeugen, die man in Europa haben kann. Und ja, anders als befürchtet kommt mit dem 6e doch ein Nachfolger in den Handel.
Mazda, so Spruytenburg weiter, hefte sich Karbonneutralität bis 2050 auf die Fahnen, der Zugang bleibe einer der multiplen Lösungsansätze, vom E-Mobil bis zum Verbrenner: 2027 komme eine neue Verbrennungsmotorengeneration auf den Markt, ausgestattet mit der ersten hauseigenen Vollhybridtechnologie. Und trotz schwieriger Rahmenbedingungen hat Mazda im Vorjahr 1,35 Millionen Autos weltweit verkauft, die 183.100 in Europa entsprechen einem zweiprozentigen Plus.
Uwe Mandel, Manager im Forschungs- und Entwicklungszentrum von Mazda Motor Europe in Oberursel, sieht im 6e ein "Symbol für das Bekenntnis zu Innovation und Qualität" und geht gleich ins Detail. 4,92 Meter lang, 1,89 breit und 1,49 hoch sei der Wagen, bei üppigen 2,90 m Radstand. Leergewicht? 1971 bis 2050 kg. Unter der Heckklappe finde sich ein Kofferraum mit 330 bis 700 Liter Fassungsvermögen – und vorn unter der Motorhaube harre ein mit 70 Litern Fassungsvermögen überraschend großer Frunk seiner Aufgaben.
Da passt eine richtig große Tasche rein, wie sich nachher beim Lokalaugenschein und der ersten Sitzprobe zeigte, und schieben wir diese Eindrücke gleich ein, bevor wir zu den Ingredienzien zurückkehren.
Arbeitsplatz: Mazda-typisch sauber aufgeräumt. Zweispeichenlenkrad. Riesengroßer Touchscreen, 14,6 Zoll – und an der Stelle gleich die für manche niederschmetternde Nachricht: Das wunderbar intuitive, blind zu betätigende Bedienkonzept mit Dreh-Drück-Regler und getrennter Sicht- und Kommandoeinheit verschwindet auch bei Mazda. Wandert alles in den Tatsch-Orkus. Mal sehen, wie sich das in der Fahrpraxis bewährt.
Wechsel nach hinten auf die Rückbank: Da kommt das riesige Panorama-Schiebeglasdach, das in der Ausstattung Takumi Plus zusätzlich mit elektrischem Sonnenschild kombiniert wird (bei den anderen Versionen ein wenn auch sinnvolles Extra), voll zur Geltung und bewirkt einen luftigen Charakter. Nicht so toll: Wie überall bei den Sandwich-Batteriekonzepten bekommt man die Oberschenkel ab einer gewissen Körpergröße nicht auf die Sitzauflage, die obendrein recht kurz geraten ist.
Von außen betrachtet verstärkt sich der elegante Eindruck, bis zum nach hinten oben sich zuspitzenden Heck mit bei 90 km/h ausfahrenden Spoiler. Die rahmenlosen Türscheiben ergänzen den Coupé-Eindruck der Seitenlinie, ästhetisch ist das eine gekonnte Evolution von Mazdas Designphilosophie.
Damit zurück zu Mandels Erörterungen. Ein HUD (Head-up-Display) mit Augmented-Reality-Technologie spielt alle fahrrelevanten Informationen in die Sichtachse ein, das passt zu diesem fahraktiven Hersteller. Im Antriebskapitel stehen zwei Motorisierungen zur Wahl – die mit 190 kW ist kombiniert mit einer 68,8-kWh-Batterie (maximale Ladeleistung 200 kW, 10–80-Prozent-Ladung ca. 22 min), Reichweite bis 479 km. Die mit 180 kW gibt's mit 80-kW-Akku (max. Ladeleistung 95 kW, 10–80 ca. 45 min) und bis zu 552 km.
Fährt man Letztere normtestgemäß, kommt man zum Beispiel in einem Hupfer von Wien nach Bamberg, wo unsre Babenberger herstammen, denen wir der Legende nach die Rot-Weiß-Rot-Flagge verdanken (auf die Ernst Jandl weiland, nach ewiger entsprechender Regierung, genial kalauert hatte: Rot. Ich weiß. Rot).
Jedenfalls, rot ist eh auch ein Stichwort, der 6e in Oberursel kleidete sich in dieses geschmackvolle rubinartige Rot, das den skulpturalen Aspekt dieser "authentisch modernen" Limousine noch zusätzlich betont. Und das Kapitel "Licht ist das neue Chrom" – originell: Das Flügelmotiv an der Front des Mazda 6e ist LED-beleuchtet und zeigt zugleich den Ladestand an. So was Ähnliches macht sonst derzeit nur Renault beim elektrischen R5.
Der 6e kann sich jedenfalls sehen lassen, wenn er sich auch noch Mazda-konform fährt und preislich halbwegs leistbar wird, kann das was werden. Schön und gut, die andere Sache ist die einer technologischen Kränkung: Dass eine derart ingenieursgetriebene Firma auf einen Partner in China angewiesen ist, wird die stolzen Japaner ganz schön schmerzen.
Nach der Vorschau-Präsentation nimmt Uwe Mandel sich noch Zeit für ein kurzes Interview. In seinem Büro im F&E-Zentrum in Oberursel finden sich unter anderem Zitate aus Goethes Faust an der Wand, also wollen wir wissen, was des Pudels Kern war beim Mazda 6e.
STANDARD: Hinsichtlich Elektromobilität meinte Mazda vor Jahren: so früh wie nötig, so spät wie möglich. Ist der 6e als Bestätigung dieser Philosophie zu verstehen?
Mandel: Der 6e ist nach dem CX-30 unser zweites Elektroauto für den europäischen Markt. Ein sehr wichtiges Fahrzeug für uns. Wir haben viele Mazda6-Kunden, einen großen Kundenstamm, da besteht natürlich eine Erwartungshaltung, dass dieses Modell fortgeführt wird. Mit dem Mazda 6e führen wir erstmals ein vollwertiges Elektrofahrzeug im Segment ein und haben hohe Erwartungen. Es ist ein Schritt in unserer Elektrifizierungsstrategie, die, wie Sie sagten, Schritt für Schritt vor sich gehen wird. Bis wir 2035 die regularisch verlangten Zero-Emission-Werte erreichen können, wird das natürlich fortgeführt werden.
STANDARD: MX-30 und die Fahrzeuge auf der avisierten Elektroplattform, das ist alles Mazda-Eigenbau. Beim 6e hingegen greifen Sie zurück auf chinesische Technologie, auf eine Plattform von Kooperationspartner Changan. Was am 6e ist eigentlich noch originär Mazda?
Mandel: Wir haben natürlich die Partnerschaft genutzt, um Zugriff auf die Technologie zu bekommen. Ist ein guter Schritt für uns gewesen. Es gibt ja die Anforderungen zur Elektrifizierung auf dem chinesischen Markt. Wir haben dann geguckt: Passt das Fahrzeug für Europa? Wir haben da Synergieeffekte erkannt, und für uns ist es eine Win-win-Situation, dass wir die Technologie nützen können. Wir erreichen damit, zwei für uns zentrale Elektrofahrzeugmärkte bedienen zu können. Das hilft uns auch, die Zeit zu überbrücken, bis wir unsere "EV Scalable Architecture" zum Einsatz bringen können.
STANDARD: Die besagte neue Architektur sollte ursprünglich 2026 fertig sein. Wie weit verschiebt sich das?
Mandel: Dazu möchte ich mich nicht äußern.
STANDARD: Zurück zum Mazda 6e: Von wem beziehen Sie die Batterien?
Mandel: Für eine der beiden Varianten ist es CATL, für die andere ein weiterer chinesischer Hersteller.
STANDARD: Bei der kommenden eigenen Plattform setzen Sie dann aber, auch wegen der Kooperation mit Toyota, auf einen japanischen Zulieferer, auf Panasonic?
Mandel: Richtig, das wird eine Kooperation mit Panasonic werden.
STANDARD: Was mir bei der Sitzprobe vorhin aufgefallen ist: Aus dem Unterflurkonzept scheint im Vergleich zum aktuellen 6er eine etwas geringere Kopffreiheit zu resultieren. Speziell hinten ergeben sich ein paar Fragen hinsichtlich der Sitzergonomie.
Mandel: Wenn ich eine Sandwichstruktur habe, habe ich natürlich Einschränkungen, bezüglich der Position der Beine hin zur Hüfte. Dieser Winkel wird steiler. Sagen wir so: Durch die Konstruktion haben wir grundsätzlich ein unterschiedliches Package. Das muss ich bei der ergonomischen Gestaltung immer mit berücksichtigen.
STANDARD: Der Mazda 6e kommt mit Hinterradantrieb – wird auch an eine Allradversion gedacht?
Mandel: Klar, in dem Segment gibt es auch allradgetriebene Fahrzeuge mit Dual-Motor-Konfiguration. Wir wollen aber traditionelle Mazda6-Kunden ansprechen – da ist vielleicht der Schritt zu 500 PS nicht unbedingt das Wahre.
STANDARD: Na ja, wenn ich an den Mazda6 MPS von 2005 denke, mit 260 PS und Allradantrieb …
Mandel: Ja, der hatte richtig Schmackes. Sagen wir mal so: Wir wollen diese Transformation solide gestalten, mit 190 kW (258 PS) haben wir eine gute Performance gewährleistet, denke ich. Perspektivisch schauen wir uns natürlich auch das Allrad-Subsegment an.
STANDARD: Wäre es im 6e technologisch darstellbar oder nicht?
Mandel: Wie gesagt: Da ist noch nichts geplant. Technisch wäre es darstellbar, aber es ist auch eine Frage von wirtschaftlichen Erwägungen, ob das Kundensegment groß genug ist.
STANDARD: Der Kombi war beim Mazda6 vor allem in Mitteleuropa immer sehr beliebt. Ist beim 6e nicht vorgesehen. Entsteht da nicht für viele Kunden eine schmerzhafte Lücke?
Mandel: Wir haben das Fahrzeug konzipiert als Limousine für China und Europa. Kombi, aus europäischer Sicht: immer wieder gerne, wir haben da eine hohe Kundenakzeptanz, ist aber zurzeit nicht geplant. Auch in Europa beobachten wir eine zunehmende Ausdünnung bei dieser Fahrzeugkategorie.
STANDARD: Weil alles zum SUV tendiert.
Mandel: Alles zum SUV. Wenn ich mir Nischensegmente betrachte, mir ansehe, was es vor 20 Jahren gab – ist alles weg.
STANDARD: China und Europa: Warum wird der Mazda 6e nicht auch in den USA angeboten, immer noch ein relativ starker Limousinen-Markt?
Mandel: Ich spreche für Europa. Was da perspektivisch weiter infrage kommt, kann ich nicht sagen.
STANDARD: Wir sitzen hier in Oberursel. Welche Art von deutschem, europäischem Input gibt es für dieses Fahrzeug?
Mandel: Wir haben die chinesische Grundplattform. Wir haben dann unsere japanischen Kollegen im Headquarter R&D, da ist ein großes Team dran, die zusammen mit den chinesischen Kollegen daran gearbeitet haben. Dann hat man gesagt: Wie sieht es aus mit der Machbarkeit für Europa, hat uns ins Team geholt, um zu checken, was sind die europäischen Anforderungen. Ist auch der normale Gang bei so einem Projekt. Schlussendlich kommt dann unsere Entwicklungsabteilung ins Spiel. Wir sprechen in erster Linie von fahrdynamischen Themen, Stichwort: Autobahn, hohe Geschwindigkeiten, "Fahrspaß".
STANDARD: Das zielt also in erster Linie in Richtung Fahrwerksabstimmung, Lenkung?
Mandel: Richtig. Die Performance des Fahrzeugs wird hier abgestimmt. Hinzu kommt auch das ganze Thema HMI (Anm.: Human Machine Interface, Mensch-Maschine-Schnittstelle beim Bedienkonzept). Da sind wir intensiv daran, die User-Experience, die von uns in Europa erwartet wird, umzusetzen. Wir haben also die chinesischen HMI-Plattform, das Layout müssen wir anpassen.
STANDARD: Bedeutet das, dass Mazda künftig auf das aktuelle Bedienkonzept verzichtet, das zu den weltbesten gehört?
Mandel: (lacht) Das ist eine geradezu provokante Frage. Sagen wir mal so: Es ist ein großer Schritt für uns. Wir sind weg vom bewährten Konzept. Wir müssen aber auch mit dem Strom der Zeit gehen. Wir setzen beim HUD jetzt ja auch ganz bewusst diese Augmented-Reality-Funktion ein. Unsere europäischen Ingenieure haben ein hohes Interesse daran, dieses Fahrerzentrische, das uns auszeichnet, umzusetzen. Das wird richtig gut werden. Wir haben auch dafür Sorge getragen, dass in der Touchscreen-Ausprägung immer eine fixe Leiste da sein wird für die wesentlichen Funktionen.
STANDARD: Richtig. Aber nicht physisch, sondern Touch. Ein Thema, das schon bei Volkswagen nicht funktioniert hat, man denke an die Slider für Temperatur und Lautstärke.
Mandel: Ich äußere mich nicht gern über Wettbewerber, aber klar, dafür hat es viele Kundenbeschwerden gegeben. Voice-Control: Das wird immer wichtiger, wird in zukünftigen Fahrzeugen immer mehr in den Mittelpunkt rücken.
STANDARD: Bei allen Fortschritten: Stimmbedienung dauert immer noch zu lange im Vergleich zur Handbedienung.
Mandel: Es gibt Wettbewerber, die beherrschen das schon recht gut. Generell ist der Fortschritt gewaltig. In naher Zukunft werden wir da eine adäquate Bedienqualität haben.
STANDARD: Das Thema Nachhaltigkeit: Wie stark schlägt das im Mazda 6e durch, und was wären die zentralen Anwendungen?
Mandel: Es gibt zum Beispiel kein echtes Leder mehr. Nachhaltigkeit: Wir setzen generell in unseren Fahrzeugen auch wiederverwertbare Kunststoffe ein, zum 6e kann ich es noch nicht wirklich sagen, uns liegen dazu noch keine Detailinformationen vor. Das wird dann bei der eigentlichen Pressevorstellung der Fall sein.
STANDARD: Welche drei Highlights zum Mazda 6e würden Sie hervorheben, was sozusagen ist des Pudels Kern?
Mandel: Als Erstes das absolut hervorragende Design. Das hat bei uns einen ganz, ganz hohen Stellenwert. Wir haben eine konsistente Designsprache, die wir, denke ich mal, auch beim 6e super umgesetzt haben. Ein weiteres Thema ist die neue Benutzeroberfläche, womit wir die Konnektivität, das Erlebnis in einen neuen Kontext bringen. Das ist auch für Mazda ein ganz großer Schritt. Und drittens das Fahrerlebnis – wir arbeiten dran, dass wir unser Jinba Ittai (Anm.: Mensch und Pferd, sprich: Fahrer und Maschine in harmonischem Wechselspiel) auf die batterieelektrische Ebene übertragen und so ein super Fahrerlebnis bieten können. (Andreas Stockinger, 10.1.2025)
Uwe Mandel (61) war zwischen 1993 und 2021 bei Mitsubishi Europa tätig. Seither Manager für Technologieforschung und -kommunikation im Forschungs- und Entwicklungszentrum von Mazda Motor Europe in Oberursel.