„Stillstandsparteien“: IV-Präsident Knill kritisiert auch die ÖVP scharf
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Die Industriellenvereinigung stand bereits vor der Nationalratswahl einer Regierungsbeteiligung der FPÖ nicht ablehnend gegenüber. Man sah große Überschneidungen zwischen den Wirtschaftsprogrammen von ÖVP und FPÖ, wollte dies aber nie als Wahlempfehlung oder Koalitionspräferenz verstanden wissen, wie IV-Präsident Georg Knill mehrmals betonte. Am vergangenen Mittwoch, als die Koalitionsgespräche zwischen FPÖ und ÖVP endgültig gescheitert waren, kritisierte die IV bereits: „Den politischen Verantwortlichen ist offenbar dennoch nicht bewusst, wie schlecht es um den Wirtschaftsstandort steht.“ Man erlebe „ein Schauspiel der Zukunftsvergessenheit“. Dass ein erneuter Versuch einer Regierungsbildung nun „abermals an Ideologieversessenheit und sturem Beharren auf veralteten Konzepten, aber auch am Unwillen zu Strukturreformen gescheitert ist, ist bedauerlich und zeigt, dass Eigeninteressen und Parteitaktik der wirtschaftlichen Zukunft des Landes vorgezogen werden“, so der Befund.
Besorgniserregende Industrie-Entwicklung
Machtrausch? „Ich kann der Aussage Mahrers nichts abgewinnen“
Nun legte Knill im Interview mit dem „Kurier“ nach und richtete seine Kritik auch sehr deutlich in Richtung ÖVP. „Ich frage mich, was die ÖVP von ihrer Zukunft erwartet, wenn sie jetzt zum zweiten Mal wegen unterschiedlicher Gründe Regierungsverhandlungen nicht abschließen konnte. Ich frage mich, was daran – wie bei allen anderen Parteien auch – noch staatstragend ist“, so Knill. Er sei „entsetzt“ über das abermalige Scheitern. „Mir fehlen die Attribute für meinen Gemütszustand – nämlich mitzuerleben, dass innerhalb von 5 Monaten der zweite Anlauf einer Regierungsbildung kläglich gescheitert ist.“ Den u. a. von Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer geäußerten Vorwurf, dass die FPÖ im Machtrausch sei, quittiert Knill mit Unverständnis: „Ich kann der Aussage Mahrers nichts abgewinnen. Diese oder eine ähnliche Ressortaufteilung wird die ÖVP in Zukunft nicht mehr so rasch haben. Der Volkspartei droht bei der nächsten Wahl Platz drei. Bei diesen Voraussetzungen von Machtrausch zu sprechen – das finde ich einigermaßen skurril.“
„Mich schockieren die Gründe“
Es „schockiere“ ihn, welche Ursachen für das Scheitern einer FPÖ-ÖVP-Regierung angeführt wurden. „Mich schockieren die Gründe, deretwegen die blau-türkisen Verhandlungen gescheitert sind – aufgrund einer Postendiskussion. In Summe muss ich feststellen, dass es in Österreich ein Politikversagen auf Bundesebene gibt.“ Kritik ernten auch die anderen Parteien: „Dass es nicht gelingt, in diesem Land eine tragfähige Mehrheit zu dritt oder zu zweit zustande zu bringen – wegen Ressortverteilungen und ideologischen Hürden.“ Alle Parteien und ihre Spitzen sollten sich, so Knill „die Frage stellen, ob sie bereit sind Verantwortung zu tragen, mit Ausnahme der Grünen, die nicht involviert waren, und der Neos die Verantwortung gezeigt haben. Sonst muss der Souverän das letzte Votum im Mai verifizieren“.
Von einer Neuauflage von Verhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos halte er nicht viel, „Bis auf die Spitze der ÖVP hat sich an dieser Konstellation nichts geändert“. Skeptisch stehe er auch der Idee einer Expertenregierung gegenüber. „Wir können uns aber keine ausschließliche Verwaltungsregierung leisten, die nur den Status Quo erhält.“ Knill: „Wir haben es mittlerweile aus ideologischen Gründen mit Stillstandsparteien zu tun. Das ist unverantwortlich.“
„Alle Sirenen müssen aufheulen“
Jeder Tag, der so weitergehe, der ohne notwendige Reformen vergehe, „kostet uns 15 Millionen Euro“, so Knill. „Alle Sirenen müssen aufheulen, alle roten Lichter leuchten. Ohne intakte Regierung haben wir mit den gleichen Themen zu kämpfen wie vor einem Jahr und fallen weiter zurück. Denn die Preisspirale wird sich weiterdrehen. Die Lohnstückkosten sind weiter viel zu hoch und schaden unserer Wettbewerbsfähigkeit.“