Amerikanisches Requiem: Beyoncés Album „Cowboy Carter“:
„There’s a lot of talking going on while I sing my songs”: Dieser gleich zu Beginn gesungene Satz Beyoncés wirkt etwas ironisch, denn zum besagten „lot of talking“ hat ihre eigene Werbemaschine nicht wenig beigetragen. Aber war die große Vorankündigungswelle, die heute neuen Alben teils schon Monate vorausrollt, berechtigt? In diesem Fall muss man ganz klar sagen: ja. „Cowboy Carter“, im Untertitel auch als „Act Two“ zu Beyoncés „Renaissance“ (2022) bezeichnet, ist ein großer Wurf.
Redakteur im Feuilleton.
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Gleich im ersten Stück, „American Requiem“, verbindet die 1981 im texanischen Houston geborene schwarze Sängerin eine persönliche mit einer musikalischen Standortbestimmung und einer Geste der Selbstbehauptung.
They used to say I spoke „too country“And the rejection came, said I wasn’t „country ’nough“Said I wouldn’t saddle up, butIf that ain’t country, tell me, what is?Plant my bare feet on solid ground for yearsThey don’t, don’t know how hard I had to fight for this
Erst zu wenig Country, dann nicht genug: Das spielt nicht nur auf ihre Sprache, sondern auch auf Beyoncés Erfahrungen in dem musikalischen Genre an, in dem manche ihr eine Beheimatung absprechen wollten. All denen zeigt sie mit „Cowboy Carter“ eine Harke: Es verfügt über so ziemlich alle Stilelemente des Country vom Banjospiel bis zu satirischen Rodeo-Anmoderationen. Wobei der exaltierte Gesang von „American Requiem“ bisweilen eher an Tina Turners Vokalextravaganzen erinnert. Zugleich hat er starke Gospelanteile, die auf diesem Album noch ein ums andere Mal überraschen und begeistern werden, ausgefeilte und sehr anspruchsvolle Chorharmonien, die sich von der Tradition teils waghalsig entfernen, ohne sie vergessen zu lassen.
Das ganze Leben auf diesen Moment gewartet
Groß ist das Werk schon quantitativ: Es umfasst 27 Tracks, wobei nicht alle davon Songs sind. Sondern zum Beispiel Geleitworte des Outlaw-Countrykönigs Willie Nelson, der in „Smoke Hour“ als Retro-Radio-DJ rät: „Sit back and inhale, go to a safe place in your mind.“ An diesem schönen Ort solle man sich dann auf Beyoncés Songs einlassen. Oder von Dolly Parton, die ebenfalls für Beyoncé wirbt, bevor diese dann eine Coverversion von „Jolene“ singt.
Solches Advokatentum von Weißen scheint für Schwarze in der Countrymusik offenbar noch immer nötig zu sein, auch wenn Beyoncé weiß Gott nicht die erste schwarze Countrymusikerin ist. Die Klassiker, die Beyoncé sich hier anverwandelt, verändert sie gar nicht so stark, auch das der Ausdruck einer Selbsteinschreibung in die Tradition, die über Country hinausgeht. „Blackbird“ von den Beatles klingt vom Musiktrack her sehr ähnlich wie das Original mit Zupfgitarre – aber Beyoncés sanft-soulige Stimme macht daraus freilich doch etwas ganz anderes im Hinblick auf die Geschichte der Schwarzen in Amerika, und wenn sie mit vorsichtigem Gospelchor im Hintergrund singt „You were only waiting for this moment to arrive“, gewinnt auch diese Stelle eine neue Bedeutung: als eine Art Obama-Moment.
Von den beiden Singles „16 Carriages“ und „Texas Hold ’Em“ wusste man bereits, wie traditionell die Musik wird und wie stolz die Texanerin ihren Platz im Sattel behauptet. Aber das Album ist noch weitaus reicher und vielseitiger. Der programmatische Country-Teil endet mit „Texas Hold ’Em“, der nächste beginnt mit „Bodyguard“, das eine relaxte Singer-Songwriter-Atmosphäre der Siebzigerjahre ausstrahlt. Nicht das einzige Lied hier, zu dem man gut Auto fahren könnte mit offenem Verdeck.
Kälter als das Wasser beim Untergang der Titanic
Eine solche Unterstützung wie die in „Bodyguard“ besungene hätte sich die Sängerin vielleicht selbst öfter mal gewünscht: „I’ll protect you in the moshpit / I’ll defend you in the gossip“. Ja, man muss viel aushalten beim Rodeo der sozialen Medien. Aber spätestens mit dem Lied „Daughter“ zeigt Beyoncé allen, dass mit ihr nicht zu spaßen ist. „I’m the furthest thing from choirboys and altars“, singt sie, und „I’m nothing like my father / Double cross me, I’m colder than Titanic water“. Das klingt fast nach einer Hip-Hop-Geste, während der Song wie eine alte Lagerfeuerballade klingt. Dass sie Rap und Hip-Hop nicht vergessen hat, zeigt Beyoncé im letzten Teil des Albums, der außerdem auch wieder an ihre Frühzeit im R&B anknüpft, in der sie mit der Gruppe Destiny’s Child Erfolge in diesem Genre feierte.
Gerade als man denkt, diese sehr gelungene Platte könnte nicht besser werden, haut sie einen mit Liedern wie „Alligator Tears“ noch mal um. Bei manchen Songs fehlen einem klare Genrekategorien – ebendas ist auch erklärtes Ziel des Werks, das von einem sehr langen Ankündigungstext begleitet wird, einem fast schon theoretischen Unterbau. Aber Theorie braucht man keine, um sich auch von balladesken Songs wie „Shotgun Rider“ sofort mitreißen zu lassen. Hinzu kommt ein spielerisches Moment: Der Song „Flamenco“ etwa hat weniger mit diesem Musikstil zu tun, als man erwarten könnte; auf „YaYa“ sampelt Beyoncé Nancy Sinatras „These Boots Are Made For Walkin’“ unter anderem mit den „Good Vibrations“ von den Beach Boys und macht daraus ein Mash-up der sonderbaren Art mit rebellischen Plädoyers für soziale Gerechtigkeit. Noch spielerischer, vielleicht ein bisschen albern wirkt das mit Schlumpfstimme gesungene „Oh Louisiana“.
Das Ende dagegen wird sehr seriös: erst mit dem musikalischen Gebet „Two Hands to Heaven“, dann mit dem Schlusstrack „Amen“. Dazu gospelt Beyoncé noch einmal, greift das „American Requiem“ vom Beginn wieder auf und predigt:
This house was built with blood and boneAnd it crumbled, yes, it crumbledThe statues they made were beautifulBut they were lies of stone, they werе lies of stoneTrumpets blarе with silent soundI need to make you proudTell me, can you hear me now?
Doch, sie findet Gehör. Nicht nur in den Country-Charts hat Beyoncé schon mächtig abgeräumt, bevor das Album überhaupt draußen war. Und vielleicht hat es ja auch eine bahnbrechende Wirkung für daran beteiligte und ihr nachfolgende Musiker.