Avowed im Test Gamers.at
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Ihr habt Lust auf ein neues Fantasy-Rollenspiel aus der Egoperspektive? Dann kommt ja Avowed (lose übersetzt: Das Bekenntnis) gerade Recht. Avowed ist das neueste Spiel aus dem Hause Obsidian, das in den letzten 20 Jahren bereits für einige der besten klassischen Rollenspiele verantwortlich waren.
Obsidian Entertainment aus Irvine, Kalifornien ist im Jahr 2003 von ehemaligen Mitarbeitern der Black Isle Studios gegründet worden, die zuvor an Kultspielen wie Fallout, Planescape: Torment oder Icewind Dale gearbeitet haben. Dementsprechend waren dann auch die meisten Games von Obsidian extrem rollenspiellastig. Spiele wie Star Wars: Knights of the Old Republic II: The Sith Lords, Neverwinter Nights 2, Alpha Protocol, Fallout: New Vegas, South Park: Der Stab der Wahrheit, Pillars of Eternity samt Nachfolgern oder The Outer Worlds zeugen von der erfolgreichen Vergangenheit des Studios. Selbst das, verglichen mit den anderen Titeln etwas kleinere, Adventure Pentinent erinnert über weite Strecken an ein Rollenspiel. Das neueste Werk des Entwicklers ist nun Avowed. Publisher ist Microsoft, der Obsidian Entertainment bereits 2018 gekauft hat. Dementsprechend erscheint Avowed auch auf dem PC und der XBox.
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The Envoy
Es ist 23 Uhr, eigentlich wollte ich mir Avowed nur noch schnell ganz kurz erstmals anschauen. Vier Stunden später spiele ich immer noch – ein gutes Zeichen! Morgen im Büro wird es zwar anstrengend, aber das war es mir wert. Avowed macht nämlich von Anfang an Spaß.
Ihr übernehmt die Rolle eines Abgesandten des Königs. Der schickt uns zur Insel der Lebendigen Lande (The Living Lands), von wo ihr in letzter Zeit besorgniserregende Gerüchte gehört habt. Unser Auftrag lautet, dort nach dem Rechten zu sehen.
Zu Beginn erstellen wir unseren Charakter. Wir können aus 24 vorgefertigten Charakteren auswählen, oder im Detail unter anderem Gesicht, Frisur, Nase, Augen, Mund, Ohren, Kopf und Körperform, Hautfarbe, Hintergrundgeschichte und den Namen unseres Helden zusammenstellen. Und hier wird euch bereits eure Besonderheit auffallen – euer Kopf schaut nämlich ein wenig seltsam aus. Ihr habt „gottesgleiche“ Gesichtsmerkmale, die beispielsweise ausschauen, wie wenn seltsame Schwammerl auf eurem Kopf sprießen. Wir stehen einer Gottheit nahe, und haben dadurch einige übermenschliche Fähigkeiten. Es gibt nur sehr wenige solche Menschen, und während wir in manchen Kulturen dafür verehrt werden, sind wir in anderen Kreisen verhasst. Jedenfalls sind wir ein Außenseiter.
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The Living Lands
Wir machen uns also auf den Weg zu den Lebendigen Landen, und nach einer sechswöchigen Schiffsreise nähern wir uns auch während eines heftigen Sturmes bereits dem ersten Außenposten des Königreiches. Der eröffnet jedoch mit seinen Kanonen sofort das Feuer auf uns, unser Schiff kracht gegen eine Klippe und die Besatzung ertrinkt. So viel zu der kleinen Armee, die uns eigentlich auf unserem Auftrag begleiten sollte. Wir werden von Garryek aus dem Wrack gezogen, der außer uns der einzige Überlebende zu sein scheint. Er wird auch unser erster Begleiter. Mit einem kleinen Messer bewaffnet machen wir uns auf den Weg zum Außenposten. Dort angekommen finden wir vor allem eine Menge an Leichen in dem schwer beschädigten Fort. Es schaut so aus, wie wenn die Soldaten in der Festung alle wahnsinnig geworden sind und sich schlussendlich gegenseitig umgebracht haben. Die einzige Überlebende ist eine inhaftierte Schmugglerin mit dem Namen Ilora, die wir aus ihrer Zelle befreien und die sich uns anschließt. Vereinzelt schleichen Exensoldaten (Xaurips) durch die Gegend, offensichtlich Feinde des Imperiums. Eigentlich sollten die aber in dieser Gegend gar nicht sein. De Facto sind sie aber hier, und greifen uns sofort an.
Fight
Im Kampf verwenden wir sowohl Nahkampf- als auch Fernkampfwaffen. Per Knopfdruck wechseln wir zwischen Schwert und Schild ebenso wie Pfeil und Bogen. Schon bald lernen wir auch die ersten Zaubersprüche. Wir können mit ein wenig Feuer Pflanzen verbrennen, die uns den Weg versperren, oder wir beschießen unsere Gegner mit eisigen Frostpfeilen. Unsere Ausrüstung wird rasch erweitert – neue Schuhe, Handschuhe, eine Rüstung, ein Helm, ein neues Schwert… zum Glück liegen die Dinger alle in der Gegend herum, oft in Verbindung mit dem verstorbenen vorherigen Benutzer. Im hohen Gras sind wir unsichtbar und können uns an Gegner anschleichen, um sie mit einem Stich zu töten. Wir können ebenso schwimmen wie tauchen, klettern auf Leitern und springen über Abgründe. Springen wir daneben, halten wir relativ hohe Stürze aus, ohne uns zu verletzen. Neben Ausrüstungsgegenständen finden wir auch immer wieder Pflanzen, die wir beispielsweise gleich essen können, um Lebenspunkte aufzufrischen, oder Materialien, die wir später zum Erstellen von Gegenständen benötigen. Durch gewonnene Kämpfe oder abgeschlossene Aufgaben gewinnen wir Erfahrung und erhalten dafür Fertigkeitspunkte, mit denen wir neue Fähigkeiten freischalten können. Wenn wir im Kampf sterben, ist das nicht so schlimm. Wir werden einfach auf den letzten automatischen Speicherpunkt zurückgesetzt, meistens kurz vor dem Kampf. Ihr könnt den Schwierigkeitsgrad des Spieles aus fünf Stufen auswählen – von simplen zu recht anspruchsvollen Kämpfen. Wir können auch jederzeit eigene Speicherstände anlegen.
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Feinde
Avowed spielt auf einer Insel, die Heimat von mehreren völlig verschiedenen Ökosystemen ist. Jedes Biom hat eigene Fauna und Flora und natürlich streifen immer einzigartige Gegner durch die Gegend. Die Stärke der Gegner ist zum Glück statisch. Sie werden also nicht stärker, wenn ihr selbst stärker werdet, wie es beispielsweise in Elder Scrolls IV: Oblivion der Fall war. Somit könnt ihr, wenn eure Party ordentlich Erfahrung gesammelt hat und ziemlich stark geworden ist, problemlos durch manche der früheren Gegenden streifen und die einst gefährlichen Gegner mit ein paar Schlägen ins Nirvana schicken. Allerdings funktioniert das auch in die andere Richtung, ihr könnt also durchaus Gegnern begegnen, die noch viel zu stark für eure Gruppe sind. So extrem wie in Gothic ist es aber nicht, wo ihr problemlos und ohne irgendwelchen Absperrungen in Regionen wandern könnt, in denen ihr fast sicher den ersten Kampf nicht überleben werdet.
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Party
Ihr müsst euch nicht alleine durch die Lebendigen Lande schlagen. An eurer Seite kämpfen Gefährten wie die Heilerin Giatta, die auch Schutzzauber sprechen kann und die Fähigkeiten der Gruppe verbessern kann. Marius ist ein Fernkämpfer, der euch beim Finden von versteckten Ressourcen hilft und sich mit seiner Fähigkeit zur Teleportation hinter Gegner befördern kann, um diese rücklings zu eliminieren. Yatzli ist eine kleine Pyromanin, die euch mit diversen explosiven und feurigen Angriffszaubern unterstützt. Kai ist der Mann fürs Grobe, er fühlt sich vor allem im Nahkampf wohl und hält unmenschlich viele Treffer aus.Eure Begleiter werden vom PC gespielt – Avowed ist für Einzelspieler gemacht, einen Online-Modus gibt es nicht.
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Survival
Neben deinem Action-RPG ist Avowed auch ein Survival-Spiel. Ähnlich wie in Dragon Age: The Veilguard findet ihr während eures Abenteuers überall diverse Pflanzen, die ihr einsammeln könnt. Auch die unterschiedlichsten anderen Materialien wie Holz oder Steine können aufgenommen werden, und wenn ihr Feinde tötet lassen diese selbstverständlich auch immer wieder nützlichen Dinge wie Felle oder sonstige Körperteile zurück. Natürlich stehen auch immer wieder Truhen und Kisten an den seltsamsten Orten, in denen irgendwelche Dinge nur auf euch warten. Ihr braucht das ganze Zeug auch – einerseits, um es zu verscherbeln, andererseits aber auch, um damit neue Gegenstände herzustellen. Crafting ist ein wesentlicher Teil des Spieles. Ihr stellt die unterschiedlichsten Waffen ebenso her wie Rüstungen oder Verbrauchsgegenstände. Lustigerweise könnt ihr Dinge auch wieder zerlegen oder einschmelzen, um einen Teil der Materialen wieder zurückzubekommen. Mit bestimmten Zaubersprüchen könnt ihr in eurem Camp manche Ausrüstungsgegenstände auch verbessern.
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Stats
In drei verschiedenen Fähigkeitsbäumen könnt ihr euren Helden weiterentwickeln. Einerseits gibt es die kampfrelevanten Fähigkeiten, dann die magischen Fähigkeiten und schließlich noch einen dritten Skilltree für spezielle Fähigkeiten wie Ausweichen, Schleichen oder defensiven Verbesserungen. Auf eigenen Bildschirmen können wir in Ruhe unser Inventar anschauen und Gegenstände ausrüsten oder konsumieren, auf einem anderen Bildschirm wird automatisch eine Karte mit gezeichnet, auf einem Bildschirm sind unsere offenen Quests angeführt, dann gibt es einen Bildschirm mit den Charakterwerten und einen Bildschirm mit unserem Fertigkeitsbaum. Insgesamt ist das alles recht übersichtlich aufgebaut.
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Ego oder Third-Person?
Avowed spielt grundsätzlich in der Egoperspektive, aber es gibt auch eine Möglichkeit in den Third-Person-Modus zu wechseln. Ich persönlich finde diese Ansicht deutlich übersichtlicher. Avowed bietet grundsätzlich eine Vielzahl von Zugänglichkeitsfunktionen, um das Spiel individuell an eure jeweiligen Präferenzen anpassen zu können. Neben dem Anpassen des Sichtfelds, dem Deaktivieren des Verwackelns der Kamera könnt ihr vor allem das Wackeln des Kopfes (Head-Bobbing) in der Egoperspektive abdrehen. Dieses Herumwackeln der Kamera mag für die einen eine realistische Darstellung der Kopfbewegung beim Gehen sein, aber sehr vielen Spielern wird dadurch nur speiübel. Ich persönlich greife Spiele nicht mehr an, bei denen man das nicht deaktivieren kann. Für Leute mit schlechten Augen können auch die Texte beziehungsweise Untertiteln ordentlich groß eingestellt werden, was auch beim Spielen auf einem entfernten Fernseher sehr angenehm ist. Die Steuerung per Gamepad oder Tastatur kann beliebig konfiguriert werden. Die Sprachausgabe ist aktuell nur auf Englisch verfügbar, eine deutsche Lokalisierung ist aber geplant.
Die Hardwareanforderungen am PC sind relativ hoch – ihr solltet mindestens eine Nvidia RTX 1070 in eurem Rechner eingebaut haben. Erhältlich ist Avowed für den PC über Steam oder im Game Pass (bzw. Microsoft Store), sowie für die Xbox Serie X|S.
Zusammenfassung
Avowed macht Spaß! Das ist natürlich das Wichtigste bei jedem Spiel. Bei Avowed stimmen aber auch die anderen Werte – die Grafik ist flüssig und schaut gut aus, die Kämpfe spielen sich fordernd (aber nicht so schwer wie bei einem Souls-like), die Fantasy-Story wird spannend erzählt, und es gibt eine Menge an Features, die man sich von einem klassischen Rollenspiel erwartet. Massenhaft Gegenstände, Zaubersprüche, Quests und NPCs, unterschiedliche Partymitglieder, verschiedene Lösungswege und tolle Zwischensequenzen. Ich habe seit langem nicht mehr so viel Spaß bei einem Action-RPG gehabt!
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