Claudia Pechstein rechnet auf fünf DIN-A-4-Seiten mit der ARD ab
Seit Tagen schwelt im deutschen Sport eine possenhafte Auseinandersetzung, die nun recht unvermittelt an Schärfe gewonnen hat. Am Mittwochabend verschickte Claudia Pechsteins Manager eine Mail, erst ohne, Minuten später dann mit Anhang. „Zum Interviewboykott Claudia Pechsteins gegen die ARD“ wie es hieß.
Die deutsche Eisschnellläuferin habe „einen offenen Brief an die ARD adressiert, der den Herren Balkausky, Simon und Seppelt bereits gemailt wurde“.Es ist eine Abrechnung mit dem Sender, dessen sportlicher Leitung um Ressortchef Axel Balkausky und dem Team des Investigativ-Journalisten Hajo Seppelt. Verfasst auf fünf DIN-A-4-Seiten. Seit Sonntag hatte diese Kontroverse mehr und mehr an Fahrt gewonnen.
Pechstein war an dem Tag von den Olympischen Spielen in Peking zurückgekehrt und hatte nach ihrer Ankunft am Frankfurter Flughafen einen Pressetermin zu absolvieren. Anwesend war in der Runde auch ein Team der ARD, was von Pechstein nicht unbemerkt blieb. Auf ihr Geheiß hin wurden die Journalisten des Senders vom Termin ausgeschlossen. Sie stand erst wieder Rede und Antwort, als die Kamera des ARD-Mannes gen Boden gesenkt wurde. Seppelt twitterte danach: „Zur Aufklärung: Frau Pechstein boykottiert die ARD, weil meine Kollegen von der ARD-Dopingredaktion und ich nicht so über sie und einen Dopingverdacht berichteten, wie sie es für angemessen hielt.“
In den Tagen danach entbrannte nun ein Schlagabtausch, bei dem die ARD noch den moderatesten Duellanten stellte und sich mittlerweile mehr oder minder mit Pechsteins Verhalten abgefunden hatte. Sie spreche „seit Jahren wegen Hajo Seppelts Berichterstattung in 2012“ nicht mit dem Sender. „Wir akzeptieren das“, sagte Sportkoordinator Balkausky dem „Tagesspiegel“.
Der Deutsche Journalistenverband warf Pechstein daraufhin ein „seltsames Verständnis von Pressefreiheit“ vor. Auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) war dann schon nicht mehr ganz so milde. „Grundsätzlich entscheiden Athlet*innen selbst, ob sie Interviews geben“, wurde zum Boykott mitgeteilt. Der DOSB hätte es aber „begrüßt“, wenn Pechstein die Situation „im Sinne des Team D anders gelöst hätte“.
Pechstein kreidet ARD an, ihr keine faire Chance gegeben zu habenDoch das ist nicht in Pechsteins Sinne, wie sie nun in ihrem offenen Brief an den Sender dokumentierte. Sie listet darin chronologisch und, wie sie anmerkt, gekürzt ihr Zerwürfnis mit der ARD auf. Angefangen mit der Mail der Sendeanstalt an ihren Manager vom 28. Januar 2012:
„Sehr geehrte Frau Pechstein, im Zuge unserer Recherchen für die ARD-Sportschau und sport inside (WDR Fernsehen), bitten wir Sie um die Beantwortung folgender Fragen bis Sonntag,29. Januar 2012, um 16 Uhr.1. Wurde bei Ihnen eine Abnahme, UV-Bestrahlung und Re-Injektion des Blutes durch die Praxis des Erfurter Sportmediziners Andreas Franke durchgeführt?2. Wenn ja, warum und wie oft (ca.) wurde diese Blut-Behandlung bei Ihnen durchgeführt?3. Gab es dafür medizinische Ausnahmegenehmigungen (TUE) durch die NADA ?4. Sind Sie im Zuge der Ermittlungen gegen den Sportmediziner Andreas Franke schon von der Staatsanwaltschaft Erfurt als Zeuge vernommen worden?
Mit freundlichen Grüßen...“
Die 50 Jahre alte Polizeihauptmeisterin kreidet der ARD und insbesondere dem Team von Seppelt in erster Linie an, nicht fair und falsch über sie speziell und die Causa Erfurt allgemein berichtet zu haben. Seit Jahren fordert sie dafür eine öffentliche Entschuldigung.
Pechstein schreibt von einer „glatten Lüge“Durch den von der ARD publik gemachten Boykott am Frankfurter Flughafen vom Sonntag greift sie den Fall nun noch einmal aus ihrer Sicht auf, um „das schlampige, fehlerhafte, tendenziöse und ehrverletzende Arbeiten Ihrer Anti-Doping-Redaktion um Hajo Seppelt offenkundig zu machen“, wie sie schrieb. Und fragt auch: „Seit wann ist es durch die Pressefreiheit im Grundgesetz abgedeckt, dass wir Sportler jedem Medium ein Interview geben müssen?“
Die ARD habe dem Publikum in Bezug auf die Gründe für ihren Boykott „mit einer glatten Lüge“ eine Erklärung dafür liefern wollen, „warum ich jegliche Interviews verweigere“. Nicht die Berichterstattung über ihre dreijährige Dopingsperre von 2009 bis 2011 sei der Grund für ihren Boykott, sondern die ihrer Ansicht nach falschen Anschuldigungen über das Blutdoping.
„Es ist ja ohnehin nicht so, dass ich Ihre gesamten Sendeanstalten boykottiere. Mit dem RBB und MDR bin ich im regen Austausch“, ließ Pechstein wissen. Im Übrigen sei sie bereits an diesem Freitag in der MDR-Talkshow „Riverboat“ zu Gast: „Denn eines gilt nach wie vor: Wer mich fair behandelt, dem stehe ich auch gerne Rede und Antwort.“
Hier können Sie Pechsteins Schreiben in Gänze lesen: