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Alphatiere statt Zauderer: CEO-Wechsel bei Swiss Re markiert Zäsur

Alphatiere statt Zauderer CEOWechsel bei Swiss Re markiert Zäsur
Krisen erfordern einen anderen Typ von Manager als Schönwetterperioden, sagt der Managementberater Reinhard K. Sprenger. Alphatiere ersetzen Zauderer.

Krisen erfordern einen anderen Typ von Manager als Schönwetterperioden, sagt der Managementberater Reinhard K. Sprenger. Alphatiere ersetzen Zauderer.

Beben im Glashaus am Mythenquai: Der Rückversicherer Swiss Re wechselte diese Woche den CEO aus.

Beben im Glashaus am Mythenquai: Der Rückversicherer Swiss Re wechselte diese Woche den CEO aus.

Christian Beutler / Keystone

Wenn es ein Unternehmen in der Schweizer Finanzbranche gibt, das für Stabilität steht, dann wohl Swiss Re. Seit 1869 entrichtet der Rückversicherer ohne Unterbruch jedes Jahr eine Dividende. Das kann weltweit nur eine Handvoll Firmen von sich behaupten.

Umso mehr erstaunte die Meldung von Mitte Woche: CEO Christian Mumenthaler wird durch den bisherigen Spartenchef Andreas Berger ersetzt. In der Mitteilung lässt der Verwaltungsrat durchblicken, dass der Entscheid für eine Zäsur steht. Berger, ein in Rwanda geborener Deutscher, werde «eine leistungs- und erfolgsorientierte Kultur» vorantreiben, steht dort. Damit sind die Erwartungen klar formuliert: Er soll die an die Konkurrenz verlorenen Marktanteile zurückholen.

Das Beben bei Swiss Re passt zu einer Reihe von Managementwechseln in der jüngeren Vergangenheit, die eine gemeinsame Stossrichtung haben: Haudegen lösen Schöngeister ab, Alphatiere verdrängen Zauderer.

UBS-CEO begab sich auf Sinnsuche

Den Anfang machte die Migros im Herbst 2022. Sie setzte ihren langjährigen Chef Fabrice Zumbrunnen ab – ein Tabubruch für die Genossenschaft. Der Nachfolger Mario Irminger kam von Denner, dem Schmuddelkind der Migros-Familie. Der Discounter verdient sein Geld mit Tabak und Alkohol, das ist nicht gerade das, was die Migros als ihre DNA versteht. Doch in der Krise ist das sekundär. Rappenspalter Irminger soll den unprofitablen Genossenschaftskoloss fit trimmen.

Der zweite Donnerschlag folgte vor einem Jahr. Nur gerade zehn Tage nach der Übernahme der Credit Suisse schickte die UBS den Konzernchef Ralph Hamers in die Wüste und holte dessen Vorgänger Sergio Ermotti zurück.

Hamers galt als exemplarische Verkörperung eines New-Work-Managers. «Letztlich geht es darum: Was macht UBS aus – was ist der wahre Sinn und Zweck von alledem, was wir tun?», fragte er die Aktionäre an seiner ersten Generalversammlung. Und versprach: «Wir sind daran, diesen Purpose herauszuschälen.» Gut zwei Jahre durfte sich der Niederländer mit der Sinnsuche beschäftigen. Als mit der CS-Integration die erste grosse Herausforderung anstand, musste er gehen.

¨Jüngere müssen Älteren Platz machen

Mumenthaler, Zumbrunnen, Hamers: Keiner von ihnen hat krass versagt. Doch sie blieben blass, schwammig und durchsetzungsschwach – und mussten vor ihrer Zeit gehen. Ersetzt wurden sie durch Manager, die deutlich älter sind. Das macht deutlich: Es geht nicht um einen Generationenwechsel, sondern um einen Wechsel des Führungsstils.

«Die Zeit des Wellness-Managements ist vorbei», sagt der Führungsexperte und Buchautor Reinhard K. Sprenger. Die in den letzten Jahren verbreitete Rede vom «Purpose» habe immer nur Unsinn im Sinn gehabt. «Das war eine nette Idee, man hoffte auf eine Prämie bei Mitarbeitern und Kunden, wenn man solche Botschaften verbreitet. Aber ernst genommen haben das nicht einmal die Promotoren selbst.»

In Putins Angriff auf die Ukraine sieht Sprenger einen Gezeitenwechsel, der auch die Wirtschaft erfasst. «In den letzten Jahren wurde vergessen, dass Unternehmen Veranstaltungen zur Erzeugung von Produkten und Dienstleistungen sind, die in der Lebensqualität der Menschen ausserhalb des Unternehmens einen Unterschied machen müssen.» Im Klartext: Die Manager waren mehr mit sich selbst beschäftigt als mit dem Markt.

Dem Ex-Migros-Chef Zumbrunnen lagen klassische Konzerte näher als Rabattaktionen für Cervelat. Bei der Reform der verschlungenen Genossenschaftsstrukturen lief er intern auf. Sprenger bezeichnet die Migros-Organisation mit ihren zahllosen Gremien, die sich gegenseitig kontrollieren, als «suizidale Struktur, die immense Transaktionskosten erzeugt. Das muss man sich leisten können».

Der bisherige CEO Christian Mumenthaler verlässt die Swiss Re Ende Juni.

PD

Der neue CEO Andreas Berger soll eine «leistungs- und erfolgsorientierte Kultur» fördern.

PD

Auch die börsenkotierten Konzerne UBS und Swiss Re verloren das Kerngeschäft zuweilen aus dem Blick: Hamers suchte nach dem «inneren Kompass, der uns dabei helfen wird, auch in Zukunft das Richtige zu tun», wie er in seiner Antrittsrede sagte. Mumenthalers grosses Thema waren die Nachhaltigkeit und das Erreichen von Klimaneutralität. «Man erhielt den Eindruck, dass sich Manager auf Kirchtage verirrt haben, es wurden eifrig Weihrauchkesselchen geschwenkt», sagt Sprenger.

Krisen erfordern ein anderes Führungspersonal

Solange die Zahlen gut waren, störte sich niemand daran. Nach der Finanzkrise ging es stetig aufwärts, die Notenbanken bügelten sämtliche Unebenheiten aus. Nun ist die Politik des Gratisgeldes an ein Ende gekommen.

Die Unternehmen finden sich in einer Welt steigender Kosten und aufbrechender Konflikte wieder. Um zu überleben, müssen sie den Blick nach aussen richten: auf die Kunden und die Märkte. «Sozial heisst nicht, dass man nett ist zu seinen Mitarbeitern, sondern dass man die Existenz des Unternehmens langfristig sichert», sagt Sprenger. Die zentrale Herausforderung, der sich das Management stellen müsse, sei Zukunftsfähigkeit.

Das erfordert andere Eigenschaften vom Spitzenpersonal. «Wir sind gegenwärtig in einer Phase, in der wir uns wieder auf den Kern von Führung und Management konzentrieren müssen», sagt Sprenger. In der Krise ist die Fähigkeit gefordert, zu entscheiden – trotz mangelnder Datenlage und Ungewissheit. «Man weiss nicht, was richtig ist, aber jemand muss Stillstand verhindern. Hierarchie heisst heilige Ordnung, weil sie Entscheidungen nicht rechtfertigen muss. Sonst macht McKinsey den Job.»

Gesucht sind Technokraten mit Herz

Nur Profite maximieren und Entscheidungen durchboxen, reicht allerdings nicht. Manager müssen Technokraten sein, das ist der Kern ihres Jobs. Gleichzeitig brauchen sie aber auch Charisma. «Eine Führungsperson muss auch das Bedürfnis nach Heimat und Zukunft verkörpern», sagt Sprenger. «Wer sich nicht bemüht, die Herzen der Leute zu erreichen, wird scheitern.»

Ob Ermotti, Irminger oder Berger diesem Ideal genügen, ist eine andere Frage. Sicher ist nur, dass die Verwaltungsräte ihrer Firmen ihren Vorgängern nicht zutrauten, das Unternehmen in die Zukunft zu führen. Dass er in Krisen handlungsfähig ist, hat bislang erst Ermotti bewiesen. Nach einem Milliardenverlust stellte er die UBS 2012 neu auf. Davon zehrt die Bank noch heute.

Der neue Swiss-Re-Chef Andreas Berger ist der grosse Unbekannte. Ausserhalb der Versicherungswelt war er bislang kaum jemandem ein Begriff. Seine technokratischen Fähigkeiten hat er mit dem Turnaround der Sparte Industrieversicherungen unter Beweis gestellt. Beim Town-Hall-Meeting am Donnerstag hinterliess er auch kommunikativ einen überzeugenden Eindruck. Statt vom Skript abzulesen, sprach er frei von der Leber weg. Insider bezeichnen ihn als wagemutig und innovativ. Das ist schon einmal ein Anfang.

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