Rogentin siegt vor Meillard und Boisset – Schweizer Dreifacherfolg in Österreich
Es ist ein Schweizer Tag voller Premieren: Stefan Rogentin feiert im Super-G in Saalbach seinen ersten Weltcup-Sieg vor seinen Teamkollegen Loïc Meillard und Arnaud Boisset. Marco Odermatt gewinnt die kleine Kristallkugel in dieser Disziplin.
Drei Wochen lang sass Stefan Rogentin zu Hause in Lenzerheide und drehte beinahe durch. Drei Wochen lang waren im Weltcup nur Technik-Rennen angesetzt, das Wetter war schlecht, den Kraftraum mochte er bald nicht mehr sehen. Und so rief der 29-Jährige den Trainer seines Skiclubs Lenzerheide-Valbella an. Dieser hatte ein Training geplant, und so fuhr der Profi mit zehn-, zwölfjährigen Kindern aus seiner Heimat um die Tore. Rogentin spürte den Spass, der das Skifahren dem Nachwuchs bereitete, und dachte sich: «So warst du auch einmal!»
«Manchmal verliert man die Freude auf dem Weg ein wenig», erklärte er nun im Zielraum von Saalbach-Hinterglemm, wo er am Freitag in seinem 100. Weltcup-Rennen den ersten Sieg feierte. Ständig gebe es noch irgendetwas zu verbessern, zu arbeiten, zu bedenken. Der Sport verkommt zur Arbeit. «Heute bin ich mit Leidenschaft gefahren, und es ist aufgegangen.»
Ein Jahr vor den Weltmeisterschaften am selben Ort in Österreich gelang den Schweizer Speed-Fahrern, was sie seit 1992 nicht mehr geschafft hatten: ein Dreifacherfolg. Hinter Rogentin klassierten sich Loïc Meillard und Arnaud Boisset, vor 32 Jahren im Super-G von Megève hatten die Podestfahrer Paul Accola, Marco Hangl und Franz Heinzer geheissen.
In der Gegenwart untermauern weitere Fakten die starke Teamleistung: Von 23 Startern kamen am Freitag 7 aus der Schweiz – am Weltcup-Final sind jeweils die besten 25 jeder Disziplinenwertung startberechtigt. Und: Der Star Marco Odermatt war als Fünfter nicht einmal Teil des erfolgreichen Trios, immerhin konnte er sich in diesem Rennen die kleine Kristallkugel für den besten Super-G-Fahrer der Saison sichern.
Kristallkugel für Odermatt und erster Super-G-Dreifachsieg seit 1992: Die Schweizer waren in Saalbach nicht zu stoppen. #srfski #srfsport https://t.co/Inz91FX9e0
— SRF Sport (@srfsport) March 22, 2024
Vier Fahrer, vier verschiedene Trainingsgruppen
Ein Jahr nach dem Rücktritt von Beat Feuz sieht es in der Schweizer Speed-Abteilung ziemlich rosig aus. Dabei ist der Super-G-Triumph von Saalbach eine ganz besondere Teamleistung: Auch wenn es für einzelne Trainings zu Überschneidungen kommt, sind die drei Podestfahrer und Odermatt alle in unterschiedlichen Trainingsgruppen untergebracht: Rogentin trainiert in der ersten Speed-Gruppe, Boisset in der zweiten, Meillard in der Slalom- und Odermatt in der Riesenslalom-Gruppe. Dennoch scheint der teamübergreifende Konkurrenzkampf gut zu funktionieren.
Der Trainer der Speed-Gruppe 2, Vitus Lüönd, ist denn auch angetan vom Spirit, der unter den Fahrern herrscht. Er erlebe oft, wie zwei oder drei zusammensässen, bei den Videos Fahrlinien und Technik besprächen, sich über ihre Erfahrungen im Material austauschten. «Das bringt fast mehr, als wenn ein Trainer dabeisitzen würde. Es sind diese kleinen Schritte, die wie heute den Unterschied machen.» Schreibe Odermatt wie kürzlich in Kvitfjell eine Nachricht in den Gruppen-Chat mit einem Aufruf zum Fussballtennis, stehe das ganze Team parat. «Das ist eindrücklich.»
Mit Odermatt, der im letzten Super-G der Saison mit höherer Startnummer im Frühlingsschnee chancenlos war, haben die jüngeren Fahrer einen Gradmesser – und jemanden, der mit seinen Erfolgen Druck wegnimmt. Der neue Sieger Rogentin sagt, es sei aber auch so, dass es für einen wie ihn Druck von unten gebe: «Bringe ich die Leistung nicht, gibt es neun oder zehn andere, die auch gerne fahren würden.»
Er habe bisweilen etwas zu viel studiert, sagte Rogentin nach seiner Premiere in Saalbach. Nachdem er im Januar 2023 im Super-G von Wengen zum ersten Mal aufs Podest gefahren war, lief es dem Bündner danach nicht wie erhofft.
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Meillard versucht sich auf der Abfahrt – aber das soll nicht die Regel werden
Während Rogentin unterdessen seine Freude wiedergefunden hat, war es beim Zweitplatzierten Loïc Meillard etwas, von dem er gar nicht wusste, dass er es verloren hatte. Sein Steigerungslauf in dieser Saison gipfelt im zweiten Rang im Gesamtweltcup, es wird mit Abstand die beste Saison, die er je gefahren ist. Schon vor dem letzten Rennen vom Sonntag hat er 200 Punkte mehr auf dem Konto als in der vorherigen und vormals besten Saison. Er stand sieben Mal auf dem Podest und hat zum ersten Mal die 1000-Punkte-Grenze durchbrochen, was nur Spitzenfahrer schaffen.
Der Start in die Saison war für den 27-Jährigen harzig verlaufen: Einerseits, weil ihm in zwei Riesenslaloms mitten im Lauf die Bindung aufgegangen war, worauf es lange dauerte, bis er das Vertrauen wiederfand. Den anderen Grund, weshalb es ihm eine Weile nicht lief, fand er nie wirklich heraus: «Ich fahre gleich gut wie Anfang Saison, nur ist dort alles schiefgegangen und in die falsche Richtung gelaufen.» Seit es Ende Januar Klick machte, fuhr er in all seinen drei Disziplinen vorne mit. Am Sonntag nun startet er auch erstmals in dieser Saison in einer Abfahrt.
Dass es künftig das Ziel sein könnte, in allen vier Basisdisziplinen zu fahren, verneint er. Es sei so schon eine Gratwanderung für den Energiehaushalt. Regelmässig in der Abfahrt starten und dadurch seine Stärke im Slalom und im Riesenslalom aufs Spiel setzen, das möchte der Walliser nicht. Meillard nähert sich lieber Schrittchen für Schrittchen der schnellsten Disziplin, in der er erst einmal im Weltcup gestartet ist; im Dezember 2022 in Beaver Creek (Rang 45).
Ein Podestplatz in der Rookie-Saison – Arnaud Boisset sei «ein brutaler Rennhund»
Schrittchen? Das ist nichts für den Protagonisten der nächsten Premiere im Schweizer Team. Gerade einmal drei Monate und eine Woche ist es her, dass Arnaud Boisset sein Debüt im Weltcup gegeben hat. Er hatte sich in der vergangenen Saison für den Weltcup einen Fixplatz im Super-G gesichert und von Beginn weg überzeugt – auch in der Abfahrt, in der er mit Startnummern von über 50 starten musste. In seinen bisher 13 Weltcup-Rennen punktete er lediglich zweimal nicht. Und nun: der erste Podestplatz in seiner Rookie-Saison.
«Ein brutaler Rennhund» sei der Walliser, sagt sein Trainer Lüönd. Boisset sei einer, der im Training zwar technisch sauber, aber eben nicht am schnellsten fahre. Und dann aufs Rennen hin noch einmal eine Schippe drauflegen könne. «Damit hat er etwas, das nicht viele Athleten haben», sagt Lüönd.
Das bedeutet nicht, dass der 25-jährige Boisset nicht auch studieren kann wie Rogentin, der dies auf der Piste manchmal etwas zu viel tut. Boisset hat einen Universitätsabschluss in Wirtschaft und Management, behält in der Euphorie einen kühlen Kopf – und blickt gern nach vorne. Am Freitag sagte er: «Wir müssen dranbleiben, dürfen nicht weniger machen. Die nächsten Jahre werden schwieriger.» Wo er die potenziellen Schwierigkeiten ortet, bleibt vorerst sein Geheimnis.
Und so bleibt zum Abschluss nur noch eine Premiere zu vermelden: Zum ersten Mal musste Marco Odermatt bis zum letzten Tag um eine Kristallkugel kämpfen. Acht Stück besitzt er mittlerweile, am Sonntag geht es noch um die neunte, um die vierte in diesem Winter, die Abfahrtskugel. Auch der Gewinn dieser wäre – eine Premiere.