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Wolf Haas erhält in München den Erich Kästner Preis für Literatur

Wolf Haas erhält in München den Erich Kästner Preis für Literatur
Auf Schloss Blutenburg überrascht der Wiener Schriftsteller mit einer außergewöhnlichen Lesung – und mit Sexualtipps.

Dem Bierernst ein Bein stellen. Wolf Haas mag diese Formulierung. Bei der Verleihung des Erich-Kästner-Preises für Literatur am Freitagabend in der Internationalen Jugendbuchbibliothek (IJB) auf Schloss Blutenburg zeigte der Schriftsteller anschaulich, was er damit meint.

Nach vier Vorrednerinnen und Vorrednern, die mal überschwänglich, mal knapp, mal münchenspezifisch, mal analytisch den Wiener Wortkünstler bewundernd in Beziehung zu Kästner rückten, kam der Preisträger auf die Bühne und sagte: "Über Erich Kästner kann ich Ihnen leider nichts Neues erzählen, weil ich wahrscheinlich einer der wenigen hier im Raum bin, der nie ein Kinderbuch von ihm gelesen hat."

In das verdutzte Raunen im voll besetzten Saal hinein erzählte Haas, das habe an dem Bücherregal seiner Familie gelegen, wo das Aufklärungsbuch von Dr. Fritz Kahn "Unser Geschlechtsleben" interessanter gewesen sei als der Sammelband "Heiteres aus der deutschsprachigen Literatur".

Um Humor im Allgemeinen und Kästners Humor im Speziellen ging es auf einer Tagung in der IJB, die Preisverleihung war darin eingebunden. An diesem Freitag kam viel zusammen: Man feierte auf den Tag genau den 125. Geburtstag des berühmten Wahl-Münchners aus Dresden. Kulturreferent Anton Biebl wies in seinem Großwort darauf hin, dass Kästner die Gründung der IJB unterstützt habe, "im Geiste der Völkerverständigung".

Der vom musikalisch verschmitzt aufgewertete Abend war also bedeutungsvoll, was auch an den Ehrengästen zu erkennen war: Johan Zonneveld etwa, der Vorsitzende der Erich-Kästner-Gesellschaft, Literaturwissenschaftler Sven Hanuschek sowie Jo Lendle vom Hanser-Verlag, den die IJB-Direktorin Christiane Raabe als "neuen Verleger von Wolf Haas" vorstellte.

Und was machte Haas? Der 63-Jährige, der sich sichtlich unwohl fühlte nach all den Dankesreden und Fotos mit Urkunde, Haas also las. Nur nicht das Erwartbare. Wie sollte es auch anders kommen? Sie haben Haas eingeladen ("für sein immer überraschendes und sprachlich funkelndes Gesamtwerk"), sie haben Haas bekommen. Und wenn es eine Konstante gibt beim "Meister des Humors" (Raabe), dann sein Credo, niemals zu langweilen. Statt ein Kästner-Gedicht vorzulesen ("fand das ganz gut, die Reime und so"), zitierte der frisch Dekorierte zunächst aus jenem Aufklärungsbuch von 1937: "Zum Auskleiden lasse er sie allein", stehe da in dem Kapitel "Die Schonung des Schamgefühls".

Als literarisches Sensatiönchen darf bezeichnet werden, dass es anschließend zur wahrscheinlich ersten und einzigen öffentlichen Lesung aus Haas' aktuellem Roman über das Sterben seiner Mutter kam (Fritz Kahns Schamgefühl diente sozusagen als Überleitung zum Umgang mit privaten Familiendetails). Zu "Eigentum" (Hanser) sollte es weder Interviews noch Lesungen geben. Umso schöner war es, zum Abend passende Zeilen wie diese von Haas persönlich zu hören: "Konnte man Auf-den-Arm-Nehmen nicht als lustige Schwester von In-den-Arm-Nehmen gelten lassen?"

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Sabine Rückert ("Die Zeit") hält die Laudatio.

(Foto: Internationale Jugendbibliothek)

Interessante analytische Gedanken hatte zuvor die Laudatorin Sabine Rückert, Redakteurin der , mit dem Publikum geteilt. Kästner und Haas seien "begnadete Sprachmusikanten mit einer sehr spezifischen und wiedererkennbaren Textmelodie und der Fähigkeit, Sätze zu komponieren, die wie Nägel in der Wand sitzen". Beide seien aus der Werbung gekommen, was ihre Sprache geformt habe. Und beide verbinde eine glückliche Mutter-Sohn-Beziehung, die Mütter intelligente Frauen mit hartem Schicksal.

Und weil ein jeder Humorist, der etwas auf sich hält, eine gute Schlusspointe aus dem Ärmel schüttelt, schließt der Schöpfer der beliebten Brenner-Krimis den Abend dann doch noch mit einer Hommage an den Namensgeber seines Preises. Haas, der erste Österreicher unter den Preisträgern, weiß genau, was er tut, wenn er in München aus Kästners Gedicht "Berlin in Zahlen" (1930) zitiert: "53 000 Berliner sterben im Jahr / und nur 43 000 kommen zur Welt / Die Differenz bringt der Stadt aber keine Gefahr / weil sie 60 000 Berliner durch Zuzug erhält / Hurra!"

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