Wer Gewalt sät – Netflix-Westernserie „American Primeval“ ist harte ...
Dass diese Serie nicht zimperlich wird, davon zeugt schon das Poster, mit dem Netflix wirbt. Ein Fort ist da zu sehen, umgeben von einem Zaun aus Stangen statt aus den trutzigen Palisaden, die man aus den meisten Western kennt. Das Tor immerhin ist stattlich – in Höhe wie Breite. Darüber weht die damals noch spärlich mit Sternen bestückte amerikanische Flagge, darunter baumelt „der Franzose“ an einem Seil. Und der Himmel darüber hat die Farben von Schiefer und Salpeter. Das Poster wirkt: Man will sofort wissen, was da passiert ist in dieser Geschichte, die „American Primeval“ heißt – „amerikanische Urzeit“.
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Der Chef von Fort Bridger verzichtet auf falsche Ermutigung
Der Franzose ist hier nur Nebenfigur, er hat aus einem Wortgeplänkel heraus Mr. Frye erschossen, den Kutscher, den Sara Rowell (Betty Gilpin) und ihr Sohn Devin (Preston Mota) für ihre Weiterreise dringend gebraucht hätten. Wegen Wetterunbilden sind sie zu spät gekommen, ihr Treck nach Westen ist schon drei Tage zuvor von Fort Bridger aus aufgebrochen.
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„Sie müssen über eine Bergkette, rauer und höher, als Sie es je gesehen haben“, sagt Jim Bridger (Shea Wigham), der das Fort gegründet hat, „aber nur, wenn sie davor die anderen Gefahren überlebt haben – Banditen, Schoschonen, Ute, Paiute, Grizzlys, Wölfe und Mormonen.“ Ein Krieg droht 1857 zwischen dem Mormonenführer und der von Präsident Buchanan geschickten US-Army. Der Traum des Polygamisten Brigham Young (Kim Coates) vom amerikanischen Kontinent als Zion darf nicht in Erfüllung gehen.
Mark L. Smith vermeidet soapartige Beziehungen
Dass „American Primeval“ mehr auf den Magen schlagen würde als die ebenfalls nicht allzu zimperlichen Neo- und klassischen Westernserien von Taylor Sheridan („Yellowstone“, „1883″, et cetera) ließ auch ihr Schöpfer und Drehbuchautor Mark L. Smith vermuten. Smith hatte schon das Drehbuch zu Alejandro González Iñárritus brutalrealistischem Trapperwestern „The Revenant“ (2015) verfasst, in dem Leonardo DiCaprio als Trapper Hugh Glass die wohl heftigste Grizzlyattacke der Filmgeschichte erlebte (und in dem auch schon Jim Bridger vorkam).
Auf dem Weg nach Kalifornien: Sara Rowell (Betty Gilpin) will ihren Sohn Devin (Preston Mota) zu seinem Vater bringen.
Quelle: Courtesy of Netflix
Smith neigt nicht dazu, Konflikte mit soapartigen Beziehungen erträglicher zu gestalten. Natürlich kommen sich auch hier die Charaktere näher, aber die Herausforderungen des Landes haben sie hart gemacht. Einer der Netflix-Slogans lautet: „Da ist kein sicherer Hafen in diesen gewalttätigen Landen, und es kommt nur auf eines an: überleben.“
Das Mountain-Meadows-Massaker gab es tatsächlich
„American Primeval“ ist in der US-Geschichte verankert wie HBOs „Deadwood“ (2004-2006) über ein gesetzloses Goldgräberlager im Sioux-Reservat in den Black Hills oder „Hell on Wheels“ (2011-2016) über den Bau der transkontinentalen Eisenbahn. Dreh- und Angelpunkt ist eine fiktionalisierte, zeitlich verschlankte Version des Mountain-Meadows-Massakers vom 11. September 1857, bei dem etwa 60 Mormonenmilizionäre unter Beteiligung von Verbündeten der Paiute-Indianer 120 Teilnehmer eines Trecks Richtung Kalifornien ermordeten und danach die Tat den Ureinwohnern allein in die Schuhe schoben.
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Dem untergangsgeweihten Fancher-Treck schließen sich auch Mutter und Sohn an, in deren Planwagen sich die stumme, junge Indianerin Two Moon (Shawnee Fourier) versteckt hat. Zudem reist eine Gruppe junger Mormonen mit, darunter der sanftmütige Jacob (Dane DeHaan) und seine selbstbewusste Ehefrau Abish (Saura Lightfoot-Leon).
Zeugen müssen beseitigt werden: Mormonenchef Brigham Young (Kim Coates, l.) will die Schuld an einem Massaker den First Nations in die Schuhe schieben.
Quelle: Courtesy of Netflix © 2024
Sara ist, wie sich bald herausstellt, unter falschem Namen unterwegs, wird wegen eines vermeintlichen Mordes in Philadelphia von Kopfgeldjägern verfolgt. Abish wird nach dem Massaker von den Schoschonen-Rebellen um Rote Feder (Derek Hinkey) entführt, und Jacob tut alles, um sie zu finden.
Trapper Isaac wird unfreiwillig in die Ereignisse hineingezogen
Die Mormonenmiliz sucht mit, um sie – ebenso wie Sarah und ihren Sohn – zu töten, weil sie die Teilnahme von Kapuzen-tragenden Weißen am Massaker bezeugen könnte. Held der Geschichte ist der Trapper Isaac Reed (Taylor Kitsch), ein wortkarger, abweisender Mann, der widerwillig immer tiefer in die Ereignisse hineingezogen wird. Bis ihm keine Wahl mehr bleibt.
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Der ganze Horror einer rechtlosen Welt, die Verlorenheit der Siedler und Pioniere in weiter Landschaft, werden von Regisseur Peter Berg und dem französischen Kameramann Jacques Jouffret überzeugend inszeniert. Die Bilder sind farbleer, Felsen sehen feindselig schwarz aus, Bäume sind wie Krallen und Gerippe, die Planwagen rollen unter schweren Anthrazithimmeln. Lange Kamerafahrten durch das Massaker illustrieren die Dynamik der Gewalt – nirgends ist Sicherheit, jeder Schritt zur Seite kann den Tod durch Pfeil oder Kugel bedeuten. Die Kamera zeigt nicht nur, sie kämpft mit.
In einer Zeit, in der Hetzer der magarepublikanischen Seite Gewalt säen, und ihre Anhänger in den Sozialen Medien dieser Gewalt das Wort reden, mag „American Primeval“ manchem zu viel von der schmerzhaften Gegenwart spiegeln. Heute wie damals gilt, was Jim Bridger der über die Umgangsformen im Fort geschockten Sarah erklärt: „Zivilisation und Zivilisiertsein haben nichts miteinander zu tun“. Nur, dass die damalige Regierung beabsichtigte, den Wilden Westen zu zähmen. Die kommende beschwört ihn neu herauf.
„American Primeval“, Serie, sechs Episoden, von Mark L. Smith, Regie: Peter Berg, mit Betty Gilpin, Taylor Kitsch, Dane DeHaan, Shawnee Pourier, Saura Lightfoot-Leon, Shea Whigham, Derek Hinkey, Kim Coates, Bodhi Rader, Preston Mota