Alligatoah in der Stadthalle: Mit dem Mittelfinger musizieren
Der deutsche Rapper Alligatoah und die unter Linken beliebte Nachwuchskraft Yu schenkten eine erfrischende Lärmdusche in der Wiener Stadthalle. Rap und Rock, Agitprop und reine Poesie – alles anarchisch durchmischt.
Mit Yunus Can, der unter Yu firmiert, hat der deutsche Schwermetallrapper Alligatoah eine Aufwärmkraft engagiert. Im Vorjahr hatte Yu einen Song veröffentlicht, der binnen Kurzem zum Evergreen unter jungen Linken wurde. Und den probierte er selbstverständlich auch in der Wiener Stadthalle aus, nachdem er ihn zuletzt Anfang Dezember im Flex ins Publikum schrie. Sein kontroversielles „Nazis erschießen“, gleich zu Beginn mit Akustikgitarre dargebracht, erzeugt ein Wir-Gefühl in der Wiener Stadthalle.
Vielleicht noch brisanter war sein Song „Freiheit“: „Ja, alle denken, dass das Denken etwas bringt, doch Gedanken sind nur Entschuldigungen für den Instinkt“ – solche Zeilen liefern ideales Material für eine grüblerische Nachlese. Wilde Moshpits waren die Reaktion darauf im Publikum. Aber vielleicht wirkte ja etwas nach.
In Pelzmantel und Trainingshose
Als letztlich der Niedersachse Alligatoah, der bislang vier Nummer-Eins-Alben in Deutschland schaffte, in obligatorischem Pelzmantel und roter Trainingshose in das auf die Bühne gebaute Büro fiel, war das Publikum jedenfalls längst auf Betriebstemperatur. Es war ununterscheidbar, ob da mehr Krawall aus den Gitarrenverstärkern oder aus den Mündern der Fans donnerte.
Alligatoah, der bürgerlich Lukas Strobel heißt, sorgte für zusätzlich Sounds, in dem er die penibel aufgestellten Computermonitore mit einem Baseballschläger bearbeitete. Er küsste sie, bevor er sie kaputtschlug. Auch in „Weiße Zähne“ baute er mit wenigen Worten Drohkulissen gegen Angepasste und Etablierte auf. „Deutscher Rap ist dir zu eklig, deutscher Punk ist dir zu wild, du kaufst dir Tickets für Helene und hoffst, sie macht mit dir ein Bild.“ Das von Alligatoah empfohlene Antidot, ein brutaler Mix aus Rap und Rock, wirkt ermunternd wie in früheren Zeiten Riechsalz.
Kulinarisch aufgefädelte Hits
Als Luxus leistet er sich einen Klarinettisten, der wohl so anarchisch spielte wie einst Free-Jazz-Größe Anthony Braxton. Allein, er war im Gewitter von wild geschrubbten Gitarren und ausgespienen Diphtongen kaum zu hören. Der Abend wurde zum ersehnten Hitpanorama, das Klassiker wie „Fick ihn doch“, „Scheißdreck“ und „Willst du“ kulinarisch auffädelte. Und obwohl der Sänger die politische Relevanz von Weltverbesserermusik in „Musik ist keine Lösung“ anzweifelte, wütete er letztlich auch gegen eine politische Realität, die, wie der Brite sagt, „stranger than fiction“ ist.
Übrigens: Dass die Steiermärkische Landesbank dem sehr rechten Online-Magazin „Freilich“ kurz vor Weihnachten das Konto gekündigt hat, beweist: Rocker sitzen überall.