Gesundheit: Eine Milliarde Menschen leben mit chronischer Krankheit – WHO in Sorge
Genf. Immer mehr Menschen leben mit Fettleibigkeit. Das müsste nicht sein, es gäbe Maßnahmen – doch die Politik tut zu wenig, sagt die WHO.
Mehr als eine Milliarde Menschen weltweit leben mit Fettleibigkeit. Das geht aus einer Studie der britischen Fachzeitschrift „Lancet“ hervor, die am Freitag veröffentlicht wurde. An der Untersuchung hatte sich auch die Weltgesundheitsorganisation WHO beteiligt.
Als Gesundheitsproblem ist Fettleibigkeit, auch als Adipositas bezeichnet, die als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und bestimmte Krebsarten gilt, inzwischen wesentlich weiter verbreitet als Unterernährung.
Fettleibigkeit kann tödlich enden
„Adipositas ist eine chronische Krankheit, die definiert ist als eine über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körperfetts“, schreibt die Deutsche Adipositas-Gesellschaft. Ob jemand betroffen ist, wird nach Gewicht und Größe berechnet, dem Body-Mass-Index (BMI). Ab einem BMI von 30 spricht die Gesellschaft von „Adipositas Grad I“.
Bei der WHO steht Fettleibigkeit an vierter Stelle, wenn es um Risikofaktoren für einen tödlichen Ausgang geht, direkt nach Bluthochdruck, Tabakkonsum und ernährungsbedingten Risiken.
In Deutschland entfielen im Jahr 2019 laut Angaben von Statista 10,9 Prozent der Todesfälle auf Folgeerkrankungen von Fettleibigkeit. Die Stiftung Gesundheitswissen warnt, Menschen mit Adipositas hätten ein erhöhtes Risiko, vorzeitig zu sterben. Es gelte die Faustregel: „Je dicke man ist, desto höher das Riskio.“
WHO spricht von einer „Adipositas-Epidemie“
Forscher äußerten sich bei der Vorstellung in Genf überrascht von der Schnelligkeit der Entwicklung. Frühere Projektionen hatten damit gerechnet, dass die Schwelle von einer Milliarde Adipositas-Betroffenen erst im Jahr 2030 erreicht wird. Die WHO sprach von einer „Adipositas-Epidemie“.
Der Studie zufolge hat sich die Häufigkeit von Fettleibigkeit bei Erwachsenen seit 1990 mehr als verdoppelt, bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 5 bis 19 Jahren sogar vervierfacht. Besonders hoch seien sowohl der Bevölkerungsanteil fettleibiger Menschen als auch das Wachstum dieser Gruppe in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen.
Deutsche Männer immer dicker
Insgesamt waren 880 Millionen Erwachsene und 159 Millionen Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 19 Jahren stark übergewichtig. 9,3 Prozent der Jungen galten 2022 als fettleibig, 6,9 Prozent der Mädchen. Bei Erwachsenen verdoppelte sich der Anteil bei Frauen seit 1990 auf 18,5 Prozent, und er verdreifachte sich bei Männern auf 14 Prozent.
In Deutschland lag der Anteil bei Frauen mit Adipositas nach dieser Studie 2022 bei 19 Prozent, was Platz 137 in der Länderliste entsprach. Nummer 1 auf der Liste und damit am schlimmsten betroffen ist hier Tonga mit 81 Prozent.
Bei Männern lag der Anteil in Deutschland bei 23 Prozent (Platz 80). Hier ist der Inselstaat Amerikanisch-Samoa mit 70 Prozent adipöser Männer auf der Listenplatz 1. Unter den Mädchen und Frauen bis 19 Jahren lag der Anteil in Deutschland bei sieben Prozent (119. Platz), bei Jungen und jungen Männern bei 10 Prozent (111. Platz).
Regierungen können handeln
Geeignete Gegenmaßnahmen sind aus Sicht der Wissenschaftlern vor allem Aufklärung, besserer Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Werbung für ungesunde Lebensmittel und Getränke, steuerpolitische Initiativen für gesündere Ernährung sowie eine entsprechende Kennzeichnung von Produkten.
Auch WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus erklärte, die Studie unterstreiche, wie wichtig Prävention und der richtige Umgang mit Adipositas vom Kindes- bis zum Erwachsenenalter sei. Eine Rolle spielen nach seinen Worten Ernährung, körperliche Betätigung und angemessene Therapie.
Um das Problem einzudämmen, müsse die Politik aktiv werden. Auch forderte er, Unternehmen für die gesundheitlichen Auswirkungen ihrer Produkte haftbar zu machen.
Diese Gegenmaßnahmen gäbe es
Regierungen sollten dafür sorgen, dass besonders salz-, fett- oder zuckerhaltige Nahrungsmittel und Getränke nicht in der Nähe von Schulen verkauft werden und dass Reklame dafür, die sich an Kinder richtet, eingeschränkt wird, heißt es von der WHO. Sie sollten zudem Kampagnen über die Vorteile guter Ernährung und sportlicher Betätigung fahren. Die WHO räumte ein, dass gute Ernährung teuer sein kann.
Obwohl die Ursachen von Fettleibigkeit wie auch mögliche Schritte dagegen bekannt seien, fehle es noch an politischer Entschlossenheit. Ein 2022 von der Weltgesundheitsversammlung verabschiedeter Plan werde erst von 31 Staaten umgesetzt.
Problem mit zwei Seiten
Die andere Seite des Ernährungsproblems: Gleichzeitig seien weltweit auch hunderte Millionen Menschen weiter von Mangel- und Unterernährung betroffen, heißt es in der Studie, vor allem in Ländern in Südostasien und in Afrika südlich der Sahara.
Unterernährung sei für die Hälfte aller Todesfälle bei Kindern unter fünf Jahren verantwortlich. Starkes Übergewicht und Unterernährung seien zwei Seiten desselben Problems: schlechter Ernährung, so die WHO. (pcl/dpa/epd/kna)